14.11.2023

Die Linke hat im Bundestag nichts erreicht – außer dem Mindestlohn

Die Bundestagsfraktion der „Die Linke“ hat ihre Selbstauflösung zum 6. Dezember beschlossen. In der Haushaltsdebatte zuvor will man noch mitmischen. Dann gehen sie getrennte Wege: die Mehrheit und die neun Abweichler, die mit Sahra Wagenknecht eine neue Partei gründen werden.

Die Rest-Linke unter der Reichstagskuppel zählt nur noch 28 Mitglieder. Die Geschäftsordnung schreibt aber vor, dass es mindestens 37 Parlamentarier sein müssen, um eine Fraktion zu bilden.

Nach Wagenknecht-Hammer: Scheitern mit Ansage

Mit dem Fraktionsstatus sind viele Vorteile verbunden: entsprechende Redezeiten im Parlament, dem Anspruch auf den Vorsitz in Bundestagsausschüssen, ein Mitarbeiterstab, der vom Steuerzahler finanziert wird.

„Mit Würde“ soll diese Liquidation von statten gehen, kündigte der ewige Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch an. Was sich hier vollzieht, ist indes ein Scheitern mit Ansage. Denn die letzten Jahre hat die Linke – zwischen 2009 und 2017 drittstärkte Kraft nach CDU/CSU und SPD – vor allem mit internen Querelen von sich reden gemacht.

In den neuen Bundesländern hat die Partei in den Kommunen, Kreisen und auf Landesebene durchaus Politik mitgestaltet, vielfach ohne ideologische Scheuklappen. In der Bundestagsfraktion herrschte dagegen zwischen denen, die in erster Linie Politik für die kleinen Leute machen wollen, und den Befürwortern einer eher an die Grünen angelehnten Politik ständig Krieg.

Auf die 2021 verbleibenden 28 Abgeordneten wartet nun die eine schwere Aufgabe. Sich muss sich so positionieren und profilieren, dass die Partei bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr und nicht zuletzt bei der Bundestagswahl 2025 nicht von der Wagenknecht-Truppe überrollt wird.

Die Linke hat im Bundestag für heftige Debatten gesorgt

Allerdings wäre es auch ohne die Abspaltung von Wagenknecht & Genossen höchst ungewiss gewesen, ob die Linke 2025 die Rückkehr ins Parlament schafft. Denn die mit der Berliner Politik Unzufriedenen und von ihr Enttäuschten sind in den letzten Jahren in Scharen zur AfD abgewandert. Jetzt dürften nicht wenige von ihnen Wagenknecht wählen.

Die ehemalige SED war 1990 erstmals unter dem Namen PDS in den Bundestag eingezogen. Wegen ihres strikten Antiamerikanismus und ihrer „Raus aus der Nato“-Forderung kam sie für SPD und Grüne im Bund als Koalitionspartner nicht ernsthaft in Frage. Dabei hätte es 2005 und 2013 rechnerisch für Rot-Grün-Rot gereicht.

Die Linke hat im Bundestag für heftige Debatten gesorgt, bisweilen auch für Klamauk mit parlamentarisch nicht angemessenen Protesten. Das führte sogar zum Ausschluss von der Sitzung.

Größter Erfolg: Der Mindestlohn

Letztlich hat die Linke im Parlament nichts Konkretes erreicht, was sie sich als Verdienst anrechnen lassen kann. Mit einer Ausnahme: dem Mindestlohn. Der wäre ohne die Linke nicht schon 2014 eingeführt worden – unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Wie immer man zum Mindestlohn, jener „Sozialreform von historischem Ausmaß“ (der damalige SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann), stehen mag: Dass er vor fast zehn Jahren eingeführt wurde, war in erster Linie das Verdienst der Linkspartei.

Die SPD hatte nämlich jahrelang diese „Begrenzung der Tarifautonomie in dem unteren Bereich“ (Franz Müntefering) kategorisch abgelehnt. Zum Teil aus Respekt vor der Tarifautonomie, zum Teil mit Rücksicht auf die Gewerkschaften.

Die Arbeitnehmerorganisationen waren lange der Meinung, Tarifautonomie und Mindestlohn passten nicht zusammen. Die Politik solle sich da raushalten. Erst im Mai 2006 beschloss der DGB-Bundeskongress die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn.

Explizite Mindestlohn-Strategie

Danach drehte die SPD allmählich bei. Im Wahlprogramm 2009 bekannte sie sich ganz offiziell zu diesem staatlichen Eingriff in die Lohnfindung am Arbeitsmarkt.

Ob die SPD die Attraktivität des Mindestlohns bei potentiellen Wählern zunächst nicht erkennen konnte oder wegen der Gewerkschaften nicht erkennen wollte – die Linke wusste diese Marktlücke zu nutzen. Im Bundestagswahlkampf 2005 trommelte das Linksbündnis für den Mindestlohn und war damit allein auf weiter Flur.

Ihre Rückkehr in den Bundestag unter Führung des Spitzenduos Gysi/Lafontaine war auch das Ergebnis ihrer Mindestlohn-Strategie. Das Konzept kam an, jedenfalls bei dem Teil der Wähler, der von SPD wie Linkspartei umworben wurde.

Nach der Wahl 2005 schwenkte die Linke unverdrossen die Mindestlohn-Flagge. Bisweilen führte sie Sozialdemokraten öffentlich vor. Die mussten zur Zeit der Regierung Merkel/Müntefering aus Koalitionsräson gegen entsprechende Anträge der Linken stimmen.

Das war bei solchen Anträgen der Fall, die Wort für Wort entsprechenden SPD-Beschlüssen glichen. Für die SPD-Genossen war das sehr bitter, zumal die Gewerkschaften in dieser Frage an der Seite der Linkspartei standen.

Im Juli 2014, 12 Jahre nach dem ersten Mindestlohn-Vorstoß, verwirklichte die Große Koalition unter Angela Merkel, in der die SPD den Wirtschaftsminister sowie die Arbeitsministerin stellte, eine Uralt-Forderung der Linken.

Linke brachte sich selbst um den Erfolg

SPD und CDU/CSU stimmten damals dafür – die SPD aus Überzeugung, die Union, weil der Mindestlohn laut Umfragen inzwischen von 80 Prozent der Wähler für gut befunden wurde.

Ausgerechnet die Linke stimmte dagegen. Ihr waren die 8,50 Euro zu niedrig. So brachte die Linke sich um den einzigen großen Erfolg, der ihr im Bundestag jemals beschieden war.

Die Linksfraktion im Bundestag war meist mehr mit ideologischen Schlachten beschäftigt als mit praktischer Politik. „In der Fraktion herrscht Hass“, klagte Gregor Gysi auf dem Göttinger Parteitag 2012. Und fügte hinzu: „Wenn sich das nicht ändert, dann ist es besser, wenn wir uns trennen“. Elf Jahre später ist es soweit: Die Linke hat sich gespalten. Und ob es jemals wieder eine Linke-Fraktion im Bundestag geben wird, steht in den Sternen.

Gut möglich, dass die Linke jetzt zur ostdeutschen Regionalpartei schrumpft. Dann wäre sie wieder dort, wo sie unter dem Namen SED angefangen hatte – als von den Sowjets ausgehaltene, diktatorisch herrschende Staatspartei.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 14. November 2023)


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