05.01.2022

Die Grünen lernen, was OWD heißt: Olaf will das

Was waren das noch für Zeiten, als die Grünen sich daran machten, nach sechzehn langen Oppositionsjahren wieder mitzuregieren. Aufbruch und Erneuerung lauteten zwei Schlüsselworte – „mittelgroße Parteien“ ein drittes. Denn die Grünen waren ebenso wie die Freien Demokraten fest entschlossen, im Verhältnis zur SPD keine Koch-Kellner-Konstellation zuzulassen. Im Selfie-Zauber der grün-gelben Verbrüderung erinnerten die Grünen gern daran, dass sie zusammen mit den Freien Demokraten sogar stärker als die Sozialdemokraten seien. Plötzlich war die Rede von drei Köchen.

Das OWD-Prinzip

Dabei waren die Grünen gewarnt worden vor der leichtfertigen Annahme, ein Kanzler Olaf Scholz werde ihnen von gleich zu gleich begegnen. Das sogar aus den eigenen Reihen, nämlich von Hamburgs Zweiter Bürgermeisterin Katharina Fegebank. Die hatte mit Scholz 2015 das rot-grüne Bündnis in der Hansestadt verhandelt und wusste zu berichten, „dass uns kein Meter geschenkt wird. Kein Meter." Aus Hamburg kam auch die Kunde vom „OWD“-Prinzip des einstigen Hamburger Bürgermeisters. "OWD" steht für "Olaf will das" und sagt viel aus über den Scholzschen Führungsstil.

Wie das „OWD“-Prinzip funktioniert, mussten die Grünen schnell erfahren. Das von ihnen für die Klimapolitik so wichtig erachtete Verkehrsministerium ging an die Freien Demokraten, bekanntlich Schutzpatrone der Fahrer von Autos aller Größenklassen. Beim Amt des Vizekanzlers musste FDP-Chef zwar dem Grünen Robert Habeck den Vortritt lassen. Doch wurde der Finanzminister mit Hilfe der Geschäftsordnung zum Vize-Vizekanzler aufgewertet. Er bekam einen zusätzlichen Staatssekretär – mit Zugang zum Kabinett. Eine klare Aufwertung im Verhältnis zu den Grünen.

Mit Scholz als Kanzler wird den Grünen "kein Meter geschenkt"

Kaum war die Regierung vereidigt, kam es zur ersten Machtdemonstration des Kanzlers. Es war sicher kein Zufall, dass SPD-Fraktionschef Ralf Mützenich das Land wissen ließ, die Außenpolitik werde „insbesondere im Kanzleramt“ gesteuert. Als es deshalb grüne Proteste gab, versuchte Scholz erst gar nicht, die Wogen zu glätten. Die Regierung werde „gemeinsam handeln“, verkündete er, „und das fängt an beim Regierungschef“. Das erinnerte stark an den alten Sound von Gerhard Schröder, der den Grünen eindeutig die Kellner-Rolle zugewiesen hatte. Nur waren die Mehrheitsverhältnisse 1998 ganz anders: SPD 40,9 und Grüne 6,7 Prozent – und ohne die FDP als dritten Koalitionspartner.

Zweifellos hat die Bedeutung der Außenminister schon seit längerer Zeit abgenommen. Ob bei G 7, G 20 oder im Europäischen Rat: Wenn’s wirklich wichtig wird, spricht der Kanzler für das Land – oder wie in den vergangenen sechzehn Jahren die Kanzlerin. Falls der Regierungschef es für notwendig hält, dann nimmt er direkt Kontakt mit dem amerikanischen oder russischen Präsidenten auf. Die Zeiten, in denen solche Telefonate vom Auswärtigen Amt vorbereitet wurden, sind vorbei.

Es passt ins Bild, dass der außenpolitische Berater des Kanzlers, Jens Plötner, am Donnerstag zusammen mit seinem französischen Kollegen nach Moskau fliegt. Da wird es vermutlich auch um den Ukraine-Konflikt gehen. Gut möglich, dass Plötner den russischen Gesprächspartnern versichert, Nordstream 2 sei aus der Sicht des Kanzlers ein rein privatwirtschaftliches Projekt, was Außenministerin Annalena Baerbock bekanntlich ganz anders sieht. Um ein Treffen von Scholz mit Wladimir Putin soll es bei Plötners Besuch ebenfalls gehen. Für Baerbock sind das keine erfreulichen Nachrichten.

Scholz redet nicht von sich als Koch, aber er handelt wie einer

So gesehen hätten die Grünen eigentlich nicht überrascht sein dürfen, dass Olaf Scholz sich mit seinem Freund Emanuel Macron auf einen Energiedeal verständigt hat: Berlin findet sich Paris zuliebe mit der Einstufung der Kernenergie als „nachhaltig“ ab. Umgekehrt hält Frankreich ein grünes Label für Erdgas durchaus gerechtfertigt. Dies zur Freude der sozialdemokratischen Nordstream-2-Befürworter und zum Verdruss der Grünen, die die Kernkraft ebenso vehement ablehnen wie Putins Pipeline-Projekt. Die neue Regierung ist noch keine vier Wochen im Amt. Da wäre es verfrüht, mit der Lupe nach Rissen in diesem Bündnis zu suchen. Aber eines dürften die Grünen bereits gelernt haben: Wenn Olaf etwas will und, wie bei der Klimapolitik der EU-Kommission, auch noch die FDP an seiner Seite hat, dann weiß er sich durchzusetzen. Scholz redet nicht von sich als Koch, aber er handelt wie einer.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 5. Januar 2021)


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