Presse

16.08.2014 | Rheinzeitung

Die harte Droge Politik

„Sie führen ein Leben zwischen Berlin und ihrem Wahlkreis. Sie sind immer erreichbar. Sie müssen zu jedem Thema etwas sagen. Noch nie standen Abgeordnete des Bundestages so sehr in der Öffentlichkeit. Und noch nie war ihr Ruf so schlecht. (…)

Der langjährige Beobachter Hugo Müller-Vogg sitzt in einem der vielen Polit-Cafés und blickt aus dem Fenster auf die Spree, die gewohnt träge vorbeifließt. Er verfolgt die Bundespolitik seit 1976, war "FAZ"-Herausgeber, schreibt heute als freier Publizist. Er sagt: Das Tempo der Politik hat zugelegt. Die meisten Abgeordneten müssten heute mehr und schneller arbeiten. "Das Ansehen der Politiker ist aber schlechter geworden." Medien würden jede Kleinigkeit zum Skandal machen. Die Politikerkaste würde nicht selten als "Meute von raffgierigen Menschen, die nichts interessiert als ihre Finanzen und ihre Privilegien, dargestellt". Abgeordneter würden genauer unter die Lupe genommen. Müller-Vogg sagt, dass Politiker heute deshalb allzeit perfekt und souverän auftreten müssen. Das macht Druck. (…)

Journalist Müller-Vogg sieht die Bundestagsabgeordneten verunglimpft. "Viele denken, unsere Volksvertreter würden sich in Berlin ein schönes Leben machen und sich von Lobbyisten aushalten lassen. Das stimmt mitnichten. Die allermeisten arbeiten sehr viel." Der innerparteiliche Konkurrenzkampf hat zugenommen. Jeder konkurriert mit seinen Fraktionskollegen um Aufmerksamkeit, um Redezeit, um Schlagzeilen. Jeder muss für sich sensibel ausloten, wie viel Präsenz im Wahlkreis nötig ist - und wie viel Zeit für Berlin übrig ist.“ (…)

"Der Abgeordnete kann noch so klug und engagiert sein. Wenn er dem nächsten Bundestag nicht angehört, hilft ihm das nicht", sagt Müller-Vogg. Die durchschnittliche Verweildauer beträgt zwei Legislaturperioden. Nach der Wahl ist vor der Wahl, Trommeln gehört zum Geschäft, ständig. Früher war die Verweildauer im Parlament länger. "Wenn in der Bonner Republik jemand Abgeordneter war, dann meistens sehr lange", erinnert sich Müller-Vogg. "Heute müssen alle immer mit Gegenkandidaten rechnen. Den Spezialisten, die eher hinter den Kulissen agieren, aber für die Fraktion sehr wichtig sind, hat die Partei in den 1970er-Jahren noch einen sicheren Listenplatz besorgt. Wer heute keinen Wahlkreis hat, bekommt auch keinen Listenplatz."

Die Parteibasis in Ortsverein und Co. ist mächtiger geworden. Personalentscheidungen aus Berlin über die Köpfe der Mitglieder hinweg? Heute undenkbar. Das bedeutet für den Abgeordneten: Präsenz zeigen bei Kirmes, Feuerwehr- und Schützenfest. Denn: "Die schärfsten Konkurrenten sind die eigenen ,Parteifreunde', die den Job selbst haben wollen", meint Müller-Vogg. Den Wahlkreis muss man bei Laune halten. (…)

Auch die Flut der Talkshows hat das politische Geschäft verändert, meint Beobachter Müller-Vogg. "Da hat es der normale Abgeordnete, der nie eingeladen wird zu Illner und Co., deutlich schwerer, den Leuten klarzumachen, dass er trotzdem wichtig ist."

Aus: „Rheinzeitung“, Koblenz, 16. August 2014



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