27.06.2009

Eine durchaus realistische Geschichte

Hugo Müller-Vogg ist innerhalb der schreibenden Zunft ein politisches Schwergewicht. Er war jangjähriger Herausgeber der FAZ und ist heute Kolumnist für BILD sowie Kommentator für den
Nachrichtensender N24. Müller-Vogg hat sich aber auch als Buchautor einen herausragenden
Namen gemacht. So befassten sich seine Gesprächsbiografien mit Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit Niedersachsens Ministerpräsident Christian
Wulff und mit dem inzwischen zurückgetretenen Bahnchef Hartmut Mehdorn. In seinem jüngsten Buch beschreibt er das Szenario der rot-rot-grünen Wende. Es handelt sich zwar um eine politische Fiktion, also um eine frei erfundene Geschichte, die aber durchaus nach der Bundestagswahl Realität werden könnte. Nicht umsonst hat Hugo Müller-Vogg so sein Werk auch „Volksrepublik Deutschland“ betitelt.

Zwangsrente und andere Marterwerkzeuge

Das „Drehbuch“ für das Szenario beginnt am 27. September 2009, dem Tag der Bundestagswahl. CDU/CSU und FDP verfehlen ihr Ziel, eine bürgerliche Regierung
zu bilden. Die Union dümpelt bei rund 35 Prozent vor sich hin und auch die 11 Prozent
für die FDP reichen nicht aus. Umgekehrt kann auch Rot-Grün nicht allein regieren.
Schließlich kommt es zu einer Neuauflage der Großen Koalition mit Angela
Merkel als Bundeskanzlerin. Parallel hierzu beginnt das große Wundenlecken im
Konrad-Adenauer-Haus. Der bisherige Bundestagsabgeordnete und frühere Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz bezeichnet das „katastrophale Abschneiden“ der CDU/CSU als „verdiente Quittung“ dafür, dass die Union in der Großen Koalition ihre konservativen Prinzipien vergessen und ihre marktwirtschaftliche Seele verkauft habe. Eitel Freude und Sonnenschein indes herrscht nur im Karl-Liebknecht-Haus. Die Linke, mit 11,5 Prozent der Zweitstimmen drittstärkste Partei im Bundestag, spricht bereits von einer „gesellschaftlichen Mehrheit“ für Rot-Rot-Grün.

Etwa ein Jahr nach der Wahl, so beschreibt Hugo Müller-Vogg die fiktiven Zeitabläufe, stellt die SPD das Signal auf Rot-Rot-Grün. Am 30. Oktober 2010 versammeln sich Parteichef Müntefering, Walter Steinmeier, Andrea Nahles und der kurz nach der Bundestagswahl 2009 zum Generalsekretär beförderte Kajo Wasserhövel im Büro des Vorsitzenden. Das Gesprächsergebnis fasst Franz Müntefering (grinsend) so zusammen: „Wir haben gesagt, mit den Linken geht 2009 nichts. Aber selbst als Absolvent einer sauerländischen Volkshochschule
weiß ich, dass wir inzwischen das Jahr 2010 schreiben.“ Mit anderen Worten Worten:
Die Weichen für ein linkes Bündnis sind gestellt, die Tage von Angela Merkel gezählt. Am 7. November 2010 reichen die SPD-Minister im Kabinett ihren Rücktritt ein. Angela Merkel wird durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt. Zugleich machen Gerüchte die Runde, SPD,
Grüne und „Die Linke“ wollten bereits am Montag danach Verhandlungen über eine neue Koalition aufnehmen. Soweit Hugo Müller-Voggs gespenstisches Szenenbild vom Weg in die „Volksrepublik Deutschland“, das nicht allein der Fantasie entspringt, weil der Autor die weitgehend programmatischen Übereinstimmungen zwischen den drei Parteien aufzeigt. Dabei
stützt er sich auf eine eingehende Analyse der Parteiprogramme und auf Aussagen
führender Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei. Aussagen, die er mit systematischer
Recherche auf Gleichklänge abgeklopft hat und die es durchaus nahe legen, dass sich diese Parteien nach einer gewissen Schamfrist zusammentun werden, weil die politischen Schnittmengen dies geradezu herausfordern.

Für die Wirtschaft bedeute dies alles, so Müller-Voggs düstere Prognose, mehr Regulierung
nebst Umverteilung und für den Arbeitsmarkt die flächendeckende Einführung des Mindestlohns. Eine Zwangsrente für alle stehe ebenfalls auf der Agenda wie die sozialistische Einheitskasse – auch Bürgerversicherung genannt. In der Familienpolitik setzten die drei Linksparteien ausschließlich auf staatliche Betreuung denn auf private, und aus Deutschland werde ein Einwanderungsland mit Multi-Kulti-Idylle, konkretisiert Müller-Vogg seine Befürchtungen.

Zudem werde der Kampf gegen Rechts verstärkt und Konservative in die Nähe der
Neonazis gerückt, wobei alles, was links stehe, einen Heiligenschein verpasst bekomme.

Einleuchtende Koalitionsvereinbarung

Dass die ideologische Gemengelage von SPD und Linkspartei größer ist, als dies deren
Akteure offiziell verlautbaren, ist für Müller-Vogg unübersehbar. Der Autor verweist auf die offensichtlichen Widersprüche der SPD, wenn es um ihr Verhältnis zur PDS beziehungsweise Linkspartei geht. Nach der Wiedervereinigung habe es geheißen, „grundsätzlich niemals mit der PDS“. Das galt aber nur so lange, bis es 1994 in Sachsen-Anhalt zur ersten von der PDS geduldeten rot-grünen Minderheitsregierung kam, schreibt Müller-Vogg in seinem Vorwort. Berlin sei dann eine weitere Station gewesen. Und im Jahr 2004 habe es das erste rot-rot-grüne Wahlbündnis im Bund gegeben, erinnert Müller-Vogg an die Wahl des Bundespräsidenten. Dort warb die SPD-Kandidatin Gesine Schwan aktiv um die Unterstützung der PDS-Mitglieder in der Bundesversammlung, die sie dann auch bekam. Auch der Wortbruch der hessischen SPD im Jahr 2008 sei natürlich von den höchsten Gremien der Partei sanktioniert worden. Und schließlich und letztlich laute das Credo von Franz Müntefering „Opposition ist Mist“.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang: Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender
der Linkspartei, konstatierte bei der Buch präsentation dem Autor nicht nur, sein
Buch sei flott und unterhaltend formuliert, sondern auch, dass Hugo Müller-Voggs geschriebene
Koalitionsvereinbarung „einleuchtend, irgendwie machbar, auch gar nicht gefährlich“ klinge. Und weiter machte Gysi deutlich: „Hugo Müller-Vogg geht wie ich davon aus, dass ‚Die Linke’ stärker als die Grünen in den nächsten Bundestag einziehen wird. Ich bin ein strikter Gegner der Verletzung von Spielregeln. Wenn wir die zweitstärkste Kraft in einer solchen Koalition wären, würde ich niemals zustimmen, dass die Grünen den Vizekanzler stellen. Der Kompromiss könnte darin bestehen, dass beide Parteien gleich viele Minister stellen, aber der Vizekanzler beziehungsweise die Vizekanzlerin würde dann von uns gestellt werden.“

Eine Aussage, die das bürgerliche Lager frösteln lassen sollte, weil sie zeigt, dass
rot-rot-grüne Gedankenspiele mittlerweile durch eine durchdachte Strategie abgelöst
wurden.

Deshalb ist Hugo Müller-Voggs „Drehbuch“ für eine rot-rot-grüne Wende beileibe
keine ganz frei erfundene Geschichte, auch wenn dies der BILD-Kolumnist so dargestellt
wissen will. Da er aber gleichzeitig den amerikanischen Schriftsteller William Faulkner
mit den Worten „Fiktion kommt der Wirklichkeit manchmal näher als Journalismus“ zitiert, lässt dies für den Leser durchaus den Schluss zu, auch Müller-Vogg hält es für denkbar, dass die Horrorvision von einer anderen Republik bald von der Wirklichkeit eingeholt werden könnte.

Mit anderen Worten: Es wäre fahrlässig, darüber nicht vorher nachzudenken sondern
erst nach der Bundestagswahl.


Aus: DS-Magazin Nr. 05/06 09


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