03.03.2009

Science-Fiction mit Gysi und Ramsauer

Politisches Trio infernale: CSU-Landesgruppenchef Ramsauer, Linke-Fraktionschef Gysi und FDP-Mann Brüderle zoffen sich in Sachen "Volksrepublik Deutschland" - ein Szenario, das der Publizist Hugo Müller-Vogg entworfen hat.

Berlin - Sieben Uhr, Samstagmorgen, Geheimtreffen im Willy-Brandt-Haus. Parteichef Franz Müntefering ist sich mit seinen Stellvertretern Andrea Nahles und Frank-Walter Steinmeier einig: "Wir müssen springen." Es ist der 30. Oktober 2010, die deutsche Sozialdemokratie hat soeben im engsten Führungskreis ihren Ausstieg aus der Großen Koalition beschlossen.

Drei Wochen später wird Angela Merkel gestürzt und Frank-Walter Steinmeier mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken zum Bundeskanzler gewählt.

Soweit die Polit-Science-Fiction des renommierten konservativen Publizisten und "Bild"-Kolumnisten Hugo Müller-Vogg. "Volksrepublik Deutschland" lautet der Titel seines neuen Buchs, das nach der Bundestagswahl 2009 die Fortsetzung der Großen Koalition prophezeit und dann, ein Jahr später, den Wechsel zu Rot-Rot-Grün imaginiert.

Flott geschriebene Sci-Fi rund um Merkel, Münte und die Macht. Das muss auffallen in der Masse der Titel, die zum Wahljahr erscheinen. Und weil zu einem ordentlichen Polit-Buch auch eine ordentliche Präsentation mit ordentlicher Polit-Prominenz gehört, hat der Münchner Olzog-Verlag, bei dem Müller-Voggs Buch erscheint, Entsprechendes auf die Beine gestellt. Ach, mehr noch, Ort und Teilnehmer selbst klingen wie Sci-Fi.

Gysi in der Höhle des Löwen

Denn ausgerechnet in der Berliner Vertretung des Freistaats Bayern - weiß-blaue Fahne am Eingang, weiß-blaues Kaffeeservice - treffen sich zum Gespräch über die Volksrepublik Deutschland: Linke-Fraktionschef Gregor Gysi, CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer und FDP-Fraktionsvize Rainer Brüderle.

Gysi betritt die "Höhle des Löwen" (Olzog-Verleger Reinhard Möstl)) sichtlich angespannt. Er sei das erste Mal hier, sagt er - und fügt hinzu: "Das fällt mir aber jetzt erst negativ auf." FDP-Mann Brüderle trägt ein Wir-haben-16-Prozent-in-den-Umfragen-Lächeln zur Schau, spöttelt über die sozialdemokratisierte CDU, die auf ihrem nächsten Parteitag wohl eine Delegation aus Kuba empfangen werde und kennt schon jetzt die Konsequenzen des rot-rot-grünen Szenarios: "Kapital fließt ab, Fehlsteuerung durch den Staat als Unternehmer, außenpolitische Isolierung - es wäre eine andere Republik."

Müller-Voggs Buch als literarisierte Rote-Socken-Kampagne.

Gregor Gysi guckt da noch recht unbeteiligt, es ist nicht seine Party in dieser weiß-blauen Welt. Auch die eigene Rede ist weniger inspiriert als abgelesen. Müller-Voggs Vorstellungen über einen rot-rot-grünen Koalitionsvertrag - von "sozialistischer Zwangs-AOK" über die "Zwangsrente für alle" bis zur Rücknahme von Renten-Kürzungen für die DDR-Nomenklatura - pflückt Gysi penibel auseinander: "Richtig ist ...", "Falsch ist ...", "Interessant ist ...", so beginnen seine Sätze. Wer auf einen wortgewaltigen Gysi gehofft hat, muss sich gedulden, bis die Sprache auf das Amt des Innenministers kommt.

Das nämlich hat Müller-Vogg in der kommenden Volksrepublik Gregor Gysi zugedacht. Gysis Stimme überschlägt sich, so entschieden und das erste Mal offensichtlich belustigt weist er das zurück: "Ich verspreche Ihnen hoch und heilig, dass ich nicht Bundesinnenminister werde." Er werde doch nicht "den Oberbullen" Deutschlands machen.

Und dann sagt Gysi, wie er sich Rot-Rot-Grün in der Realität vorstellen könnte: Käme es "zu einer solchen Konstellation" und hätte er "noch die Kraft", dann würde er den Fraktionsvorsitzenden machen - "denn ich bin gerne generell zuständig". Es sei tatsächlich gut möglich, dass die Große Koalition 2009 fortgesetzt werde, im Jahr darauf aber platze. Nur hält Gysi in einem solchen Fall die Ampel- oder Jamaika-Koalition für wahrscheinlicher als ein Linksbündnis. Dieses könne er sich nur unter der Voraussetzung vorstellen, dass sich die SPD "resozialdemokratisiert" und dass in der Gesellschaft eine "Stimmung" vorherrsche, Rot-Rot-Grün zu akzeptieren. Das könne er sich aktuell aber noch nicht vorstellen.

Ramsauers Attacke

Plötzlich keine flapsigen Töne mehr, plötzlich Bedingungen statt Science-Fiction. Peter Ramsauer scheint das auch bemerkt zu haben - und reagiert hart auf das "Horrorgemälde".

Ein Parteifreund habe ihn in der letzten Woche darauf hingewiesen, dass wohl bereits Journalisten über einen Auftritt Gysis in der bayerischen Landesvertretung recherchieren würden - was denn da dran sei? Keine Sorge, habe er, Ramsauer, versichert: "Erstens tritt Gysi nicht allein auf und zweitens ist Ramsauer da, um das abzuwürgen." Und Ramsauer verpasst bei dieser Gelegenheit nicht, das Publikum an eine Begegnung von CSU-Chef Horst Seehofer zu erinnern, mit dem er nicht gerade eine innige Freundschaft pflegt: Der habe schließlich einst ein Buch des damaligen SPD-Abweichlers und heutigen Linke-Chefs Oskar Lafontaine vorgestellt.

Der CSU-Landesgruppenchef bedient sich bald historischer Parallelen: Hätten sich die SPD-Politiker Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Gustav Noske zu Beginn der Weimarer Republik so zweideutig zu ihrer Linksabspaltung USPD verhalten wie die SPD zur Linken heute, dann wäre die erste Demokratie in Deutschland schon weit früher in Gefahr gewesen, meint Ramsauer. Der Vergleich ist nicht ohne. Denn immerhin war es auch der Sozialdemokrat Noske ("Einer muss der Bluthund werden"), der sich der Freikorps bediente, um 1918/19 die Revolution niederzuhalten.

Und dann knöpft sich Ramsauer den Mann von der Linken persönlich vor: "Jetzt zu Ihnen, Herr Gysi." Dessen Partei habe die SPD "in einen ruinösen Wettlauf nach links gelockt". Und von wegen niemals Innenminister: "Was ist Ihnen schon heilig?"

Nein, macht Ramsauer weiter, im zwanzigsten Jahr der deutschen Einheit dürfe man "die Freiheit nicht verspielen". Und da helfe Müller-Voggs Buch: "Das Szenario Volksrepublik ist eine Art self-destroying prophecy."

Gregor Gysi hat alles andere als Spaß. Kurz bevor er die Bayern-Vertretung in der Berliner Behrenstraße sagt er noch, Ramsauer sei ja "ganz witzich" gewesen, habe aber vergessen zu erwähnen, dass einst Stoiber prophezeit habe, mit der rot-roten Regierung in Berlin werde dort das Licht ausgehen - "und die Stadt hat sich doch ganz gut entwickelt."


Aus: SpiegelOnline vom 03.03.2009
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