10.06.2024

Europawahl: Genossen, hört die Signale!

War es die typische Scholzsche Überheblichkeit? Oder war es ein Zeichen für gravierenden Realitätsverlust? Olaf Scholz hat sich im Europawahlkampf bundesweit plakatieren lassen, ließ den Europawahlkampf ganz auf sich zuschneiden. Mit einem eindeutigen Ergebnis: 13,9 Prozent, der niedrigste bundesweite SPD-Anteil aller Zeiten.

Die Sozialdemokraten hätten eigentlich wissen müssen, dass dieser Kanzler von einer großen Mehrheit der Bevölkerung miserable Noten bekommt, dass die Politik seiner Regierung ebenfalls auffällig schlecht bewertet wird. Dennoch zu versuchen, ausgerechnet in dem Chef dieser Regierung einen Stimmenmagnet zu sehen, grenzt schon an Harakiri. Gleichwohl hat die SPD die Europawahl zu einer Abstimmung über den Kanzler gemacht – und krachend verloren.

Weil die SPD wusste, dass sie mit der Wirtschafts- oder Klimapolitik der Ampel nicht punkten kann, setzte sie auf Frieden. Scholz wurde als Friedenskanzler präsentiert, der Oppositionsführer Friedrich Merz damit indirekt als Kriegstreiber. Doch das konnte nicht funktionieren.

Scholz betont ständig, dass kein anderes europäisches Land die Ukraine so stark unterstütze wie die Bundesrepublik, was auch zutrifft. Sein Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will das Land mit guten Argumenten kriegstüchtig machen. Da kann man als Regierungschef nicht gleichzeitig den Friedensengel spielen wollen, jedenfalls nicht glaubwürdig.

Dieses Wahlergebnis ist aus Sicht der SPD kein Ausrutscher; hier setzt sich ein deutlicher Niedergang fort. Im vergangenen Jahr musste die Partei bei den Landtagswahlen in Berlin, Bayern und Hessen schwere Niederlagen einstecken. Bei den kommenden Wahlen in Thüringen und Sachsen droht den Genossen jeweils ein einstelliges Ergebnis – nicht weit von 5 Prozent entfernt.

Scholz wirkt nicht wie der, bei dem man Führung bekommt, sobald man sie nur bestellt. Der Kanzler wirkt eher wie ein bemühter Verwalter, nicht wie ein kreativer Gestalter. Die ständigen Streitereien in der Ampel kann er nicht eindämmen. Schlimmer noch: Die Menschen spüren, dass es wirtschaftlich eher abwärts als aufwärts geht. Sie nehmen ihm auch nicht ab, dass er an dem keineswegs glänzenden Erbe, das seine Vorgängerin Angela Merkel (CDU) hinterlassen hat, keineswegs unbeteiligt war.

Scholz hat in mancher Hinsicht Angela Merkel (CDU) imitiert, nicht zuletzt beim eher passiven Hinnehmen einer steigenden illegalen Immigration. Seiner Ankündigung vor einem halben Jahr, „im großen Stil“ abzuschieben, folgte nicht viel. Seine abermalige verbale Kraftmeierei nach dem Messermord von Mannheim nahmen ihm die Bürger nicht mehr ab. Die Innenministerin „prüfen“ zu lassen, wie man Gefährder nach Afghanistan zurückbringen kann, war nicht mehr als ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver.

Was bei der SPD die Alarm auslösen müsste: Ihr laufen in großer Schar die „kleinen Leute“ weg. Bei den Arbeitern bekam die SPD mit 12 Prozent noch weniger als insgesamt. Das parteipolitische Herumhantieren am Mindestlohn scheint die einstige Kernklientel der SPD jedenfalls nicht zu beeindrucken. Auch kann die Umwandlung von „Hartz IV“ zu einem großzügigen Bürgergeld die arbeitende und steuerzahlende Mitte offenkundig nicht beeindrucken. Wenn eine Sozialleistung tendenziell die Arbeitsaufnahme eher behindert als befördert, verstehen viele ehemalige SPD-Wähler ihre Partei nicht mehr.

Völlig gescheitert ist die SPD als selbsterklärtes „Bollwerk gegen rechts“. Die Sozialdemokraten scheuen nicht vor starken Worten gegen die in Teilen rechtsextreme AfD zurück. Dabei sprechen sie bewusst vom „Kampf gegen rechts“, um die CDU/CSU mitzutreffen. Diese Strategie hat der Union nicht geschadet, weil die meisten Bürger sehr wohl zwischen konservativ und rechtsextrem zu unterscheiden wissen. Vor allem aber ist es der SPD nicht gelungen, Wähler in nennenswerter Zahl davon abzuhalten, abermals oder erstmals der Höcke-Partei ihre Stimmen zu geben.

Die SPD mag sich ein wenig damit trösten, dass die CDU/CSU nicht stärker von der schlechten Leistung und dem noch schlechteren Erscheinungsbild der Ampel profitieren kann. Aber es müsste Scholz, Klingbeil, Esken & Genossen zu denken geben, dass ihre Regierungskunst die Wähler scharenweise den Radikalen in die Arme treibt.

Bei der Europawahl hatten AfD (11) und Linke (5,5) es zusammen auf 16,5 Prozent gebracht. Nach zweieinhalb Jahren Rot-Grün-Gelb sind drei radikale Parteien zusammen auf knapp 25 Prozent gekommen: die AfD trotz aller Skandale mit ihrem bisher besten bundesweiten Ergebnis, die halbierte Linke und das von ihr beerbte „Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)“. Da kann die SPD jetzt noch so viele Analysen ihres Ergebnisses ankündigen: An der Tatsache, dass die Sozialdemokraten ihr Schrumpfen sich ebenso zuzuschreiben haben wie die Stärkung der radikalen und extremen Ränder, kommt selbst der beste „Spin Doctor“ nicht vorbei.

Zu Erinnerung: Vor fünf Jahren stürzte die SPD auf 15,8 Prozent ab, auf ihr bis dahin schlechtestes Bundesergebnis. Es war das Ende der ohnehin angeschlagenen SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles. Scholz hat das Nahles-Ergebnis nochmals unterboten. Er wird deshalb nicht zurücktreten. Die bereits begonnene Debatte darüber, ob die Partei nicht mit dem ungleich populäreren Boris Pistorius in den Bundestagswahlkampf ziehen solle, wird jedoch an Fahrt aufnehmen. Falls die SPD bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen das nächste Desaster erlebt, wofür vieles spricht, drohen Scholz nach den Wählern auch die eigenen Abgeordneten weglaufen.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 10. Juni 2024)


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