06.06.2024

Diese neuen Bürgergeld-Zahlen sind politischer Sprengstoff - mit Ansage

Es liest sich gut, was das Arbeitsministerium auf seiner Homepage verkündet: „Unser Schritt nach vorn: Das Bürgergeld.“

Noch besser klingt, was das Bürgergeld bewirken soll: „Ziel des Bürgergeldes ist es, erwerbsfähige Menschen dauerhaft in qualifizierte Arbeit zu bringen, damit sie ihren Lebensunterhalt wieder selbst bestreiten können.“

Das Bürgergeld, von der Ampel mit großem Aplomb zum 1. Januar 2023 eingeführt, ist das reformierte „Hartz IV“. Es wird in neuer Verpackung und mit einem attraktiveren Inhalt präsentiert: mehr Geld und weniger Druck, sich selbst anzustrengen.

Heil: "Mit dem Bürgergeld lohnt sich Arbeit mehr“

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) feierte sein Werk als große Sozialstaatsreform. Im Bundestag kündigte er an, es gehe darum, „dafür zu sorgen, dass Arbeit sich lohnt. Und mit dem Bürgergeld lohnt sich Arbeit mehr.“

Das sehen die Bezieher von Bürgergeld offenbar anders. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres bezogen durchschnittlich rund 4 Millionen erwerbsfähige und circa 1,5 Millionen nicht erwerbsfähige Personen Bürgergeld; insgesamt also 5,5 Millionen.

Sollte es bei dieser Entwicklung bleiben, stiege die Zahl der Bürgergeldbezieher das zweite Jahr in Folge. Insgesamt könnte ihre Zahl den höchsten Stand seit 2018 erreichen.

Schwierigkeiten bei der Integration in den Arbeitsmarkt

Es war also nichts mit den vollmundigen Versprechen, das Bürgergeld werde die Menschen in Arbeit bringen. Der „Job-Turbo“, mit dem der Arbeitsminister vor allem Flüchtlinge in Arbeit und Lohn bringen wollte, zündet offenbar nicht.

Wenn die Statistiker von „erwerbsfähigen“ Leistungsbeziehern sprechen, meinen sie Menschen, die gesund und arbeitsfähig sind. Diese könnten also arbeiten – tun es aber aus verschiedenen Gründen nicht.

Das verwundert vor dem Hintergrund, dass die Unternehmen händeringend Arbeitskräfte suchen. Doch fehlen nicht nur Facharbeiter, sondern ebenso ungelernte Hilfskräfte, beispielsweise in der Gastronomie, bei den Gebäudereinigern oder Spediteuren.

Kritik an der Ausgestaltung des Bürgergeldes

Viele Arbeitgeber verweisen in diesem Zusammenhang auf den relativ geringen Abstand zwischen Bürgergeld und dem Einkommen aus einem Niedriglohn-Job hin. Schließlich ist das Bürgergeld 2023 und 2024 insgesamt um 25 Prozent angehoben worden. Nicht zuletzt wurden die Sanktionen, wenn jemand partout keine Arbeit aufnehmen will, gelockert.

Dass beim „Upgrade“ von Hartz IV zum Bürgergeld einiges schiefgelaufen ist, leugnen nicht einmal mehr alle Sozialpolitiker von SPD und Grünen. Selbst Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) musste erkennen, dass der Verzicht auf harte Sanktionen ein Fehler war.

Der Arbeitsmarkt-Experte Enzo Weber vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wird von „Bild“ so zitiert: „Bei Hartz IV war der Druck auf Arbeitsaufnahme erhöht, beim Bürgergeld geht es in die andere Richtung.“

Hoher Ausländeranteil unter den Bürgergeldempfängern

Auffällig ist der hohe Anteil von ausländischen Bürgergeldempfängern. Der Anteil der Ausländer unter den 84 Millionen Einwohnenr Deutschlands beträgt knapp 17 Prozent, bei den Bürgergeldempfängern sind es aber 47 Prozent, also knapp die Hälfte.

Dabei spielt sicher eine Rolle, dass das Bürgergeld vielen Ausländern – ein Viertel sind Ukrainer, Syrer und Afghanen – einen Lebensstandard sichert, der ihnen ausreichend erscheint. Vielen Zuwanderern aus Entwicklungsländern dürfte es sogar besser gehen als in der alten Heimat. Da ist der Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen, gering.

Mit 47 Prozent sind die Ausländer unter den Bürgergeldbeziehern überproportional vertreten. Der Anteil von Leistungsempfängern aus anderen Ländern und Kulturkreisen dürfte tatsächlich aber deutlich höher liegen.

In der amtlichen Statistik zählt als Deutscher, wer einen deutschen Pass hat. Wie lange er sich schon in Deutschland aufhält, wird nicht erfasst, auch nicht, mit welcher beruflichen Qualifikation er nach Deutschland gekommen ist.

Es sind also in hohem Maße Zuwanderer, die vom Bürgergeld profitieren. Der Drang so vieler Menschen, nach Deutschland zu kommen, hat zweifellos auch mit der im internationalen Vergleich großzügigen Sozialpolitik zu tun.

Ausländer und Deutsche werden gleichgestellt

Was in der öffentlichen Diskussion um das Bürgergeld häufig übersehen wird: Anders als viele deutsche Leistungsempfänger haben Ausländer selbst in das Sozialsystem nichts oder kaum etwas eingezahlt. Sie werden aber mit den Deutschen gleichgestellt.

Der Schritt nach vorn, von dem der Bundesarbeitsminister schwärmt, ist mit dem Bürgergeld nicht gekommen. Das Versprechen, das Bürgergeld sei auch ein Beitrag zur Gewinnung von Arbeitskräften, wurde bisher nicht eingelöst.

Das Bürgergeld ist ein „Grundeinkommen light“

Die Wirtschaft ruft nach Arbeitskräften. Der Staat sucht im Ausland nach Fachkräften und macht zugleich das Nicht-Arbeiten für hier lebende Deutsche und Ausländer attraktiver.

Beim Bürgergeld ist eingetreten, was viele Ökonomen befürchtet hatten. Heils große Sozialreform ebnete den Weg zu einem an wenige Bedingungen geknüpftes Grundeinkommen.

Für dieses „Grundeinkommen light“ erwartet die Regierung die Solidarität der Finanziers des Sozialstaates, also aller steuer- und beitragszahlenden Arbeitnehmer, Selbständigen und Unternehmer.

Es ist ein sehr eigenartiges Verständnis von Solidarität. Denn das Bürgergeld ist ein gefährliches und teures Experiment: Es garantiert Leistung ohne Gegenleistung.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 6. Juni 2024)


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