10.05.2024

Die CDU nach dem Bundesparteitag: Die klare Positionierung fehlt noch

Zweieinhalb Jahre nach ihrer katastrophalen Wahlniederlage im September 2021 und gut zwei Jahre nach ihrer Entscheidung für Friedrich Merz als Vorsitzenden hat sich die CDU wieder gefangen.

Programmatisch hat sie mit der Ära Merkel endgültig abgeschlossen, und Merz ist die unbestrittene Nummer eins. In der K-Frage ist er der Favorit, wie selbst der CSU-Vorsitzende Markus Söder einräumen muss. Doch nach der dreitägigen Heerschau in Berlin bleibt eine für die CDU, aber auch für das ganze Land wichtige Frage offen: Wie man die AfD kleinkriegen kann. Vom Halbieren der Rechtsaußenpartei ist schon lange nicht mehr die Rede.

Der linke Rand

Harte Attacken auf die AfD und eine deutlich konservativere Handschrift im neuen CDU-Grundsatzprogramm dürften wenig daran ändern, dass die Höcke-Truppe gerade in den neuen Ländern für Wut- und Protestwähler unverändert ebenso attraktiv ist wie für nationalistisch und fremdenfeindlich gesinnte Bürger. Das macht Mehrheitsbildungen schwierig, zumal der linke Rand in Gestalt der neuen Wagenknecht-Partei wie der noch keineswegs verschwundenen Linkspartei recht stark ist.

Der Bundesparteitag hat sich nicht explizit damit beschäftigt, wie sich die Partei verhalten soll, wenn selbst CDU, SPD, Grüne und FDP gemeinsam keine Mehrheiten mehr zustande bringen. Das könnte bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen durchaus der Fall sein. Kein Redner ließ Zweifel daran, dass die viel zitierte Brandmauer gegenüber AfD und Linkspartei nicht durchlöchert werden soll. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther hatte kurz vor dem Parteitag zwar für Ärger gesorgt, als er ohne aktuellen Anlass für eine gewisse Offenheit der CDU gegenüber der Linken warb. Auf dem Parteitag wiederholte der in der CDU gerne als „Genosse“ bezeichnete Günther diese Meinung jedoch nicht.

Mit zwei starken Parteien am Rande des politischen Spektrums war die Lage, wie das Beispiel Thüringen zeigt, schon bisher kompliziert genug. In Erfurt regiert der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow bereits seit mehr als vier Jahren mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung, faktisch toleriert von der CDU. Nun ist mit dem „Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)“ ein dritter Player hinzugekommen, der Koalitionsbildungen noch weiter erschweren wird. Über das BSW wurde in Berlin allenfalls auf den Gängen, nicht aber im Parteitagsplenum gesprochen. Offenbar wollte niemand den Wahlkämpfern Guido Kretschmer in Sachsen und Mario Voigt in Thüringen das Leben noch schwerer machen, als es für sie ohnehin ist.

Auffällig ist: Bisher hat sich in der CDU niemand von Gewicht für einen Abgrenzungsbeschluss gegenüber der Wagenknecht-Partei ausgesprochen. Dabei ist das BSW „Fleisch vom Fleisch“ der Linken. Und die Parteigründerin selbst steht für vieles, was die CDU strikt ablehnt und entschieden bekämpft: die Verstaatlichung wichtiger Wirtschaftszweige, höhere Steuern und Sozialausgaben, eine Nato ohne Deutschland oder eine an Russland orientierte Sicherheitspolitik.

Wagenknecht selbst lässt in Bezug auf mögliche Bündnisse alles offen

Auf einen gemeinsamen Nenner kämen CDU und BSW dagegen in der Flüchtlingsfrage. Wagenknecht hatte sich mit ihrer alten Partei nicht zuletzt mit ihren Forderungen nach einer restriktiven Zuwanderungspolitik und einer entschiedeneren Abschiebepraxis überworfen. Gemeinsamkeiten gibt es auch in gesellschaftspolitischen Fragen. Wenn Wagenknecht gegen „Lifestyle-Linke“ wettert, zollen ihre viele Unionspolitiker insgeheim Beifall. Gleichwohl ist die BSW-Mischung aus sozialistischer Wirtschaftspolitik, nationalistischer Außenpolitik und konservativer Gesellschaftspolitik nicht kompatibel mit den Werten und Grundsätzen der Union.

Wagenknecht selbst lässt in Bezug auf mögliche Bündnisse alles offen. Nach den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg werde das BSW „sicher auch mit der CDU“ Gespräche führen, kündigte sie an. In einem Interview mit dem „Spiegel“ unterstrich die einstige Linken-Ikone ihre Offenheit gegenüber der CDU noch deutlicher. Es sei doch besser, „wenn die CDU in Sachsen unter Ministerpräsident Michael Kretschmer mit uns regiert als mit der AfD.“

Mario Voigt, vom Parteitag bei den Präsidiumswahlen mit einem 90 Prozent-Ergebnis für seinen Kampf gegen Höcke belohnt, hat sich bisher nicht festgelegt, wie er mit dem BSW umgehen will. Dessen Spitzenkandidatin, die Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf (bisher: Die Linke) bescheinigte er "relativ vernünftige Vorstellungen" in der Migrations- und Wirtschaftspolitik. Da sei „mehr Realitätssinn drin als bei den Linken oder bei manchen Teilen der Grünen". Ausschließen will Voigt eine irgendwie geartete Zusammenarbeit mit dem BSW nicht. Der sächsische Ministerpräsident Guido Kretschtmer hält sich da bedeckt. Doch ist von ihm keine Äußerung bekannt, die jegliche Zusammenarbeit mit dem BSW ausschlösse.

Es bedarf allerdings einiger Fantasie, sich vorzustellen, dass ausgerechnet die CDU mit Wagenknecht eine gemeinsame Basis findet.

Generell hat die CDU beim Thema Zuwanderung größere Schnittmengen mit dem BSW als mit den Grünen. Dagegen steht das BSW in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik eindeutig links positioniert, sogar links von SPD und Grünen.

In der Außen- und Sicherheitspolitik gibt es zwischen BSW und AfD mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes. In beiden Parteien geben „Putin-Versteher“ den Ton an. Beide Parteien plädieren für einen schnellen Waffenstillstand zum Nachteil der Ukraine, wollen Kiew keine Waffen mehr liefern und sprechen sich für die Aufhebung aller Sanktionen gegen Russland aus. Schließlich würde das BSW wie die AfD die europäische Integration in vielen Bereichen rückgängig machen. Beide wollen übereinstimmend die EU durch ein Europa souveräner Staaten ersetzen.

Die CDU befindet sich in einem strategischen Dilemma

Mit Blick auf AfD und Linke argumentiert die CDU so: Die ideologischen Gräben zwischen der CDU und den Antipoden von ganz rechts und ganz links seien so tief, dass sich jede förmliche Zusammenarbeit selbst bei Schul- oder gesundheitspolitische Fragen verbiete. Die unausgesprochene Leitlinie lautet: Mit Schmuddelkindern spielt man nicht – nicht einmal ein bisschen. Dieses Prinzip ist auf der kommunalen Ebene freilich schon öfters nicht eingehalten worden – von CDU-Politikern wie auch von Sozialdemokraten und Grünen. Da gilt dann das beliebte Argument, es gebe eben keine schwarzen Altenheime und keine roten Umgehungsstraßen.

Noch kann die CDU darauf verweisen, vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ lasse sich noch nicht endgültig sagen, ob es innerhalb oder außerhalb des demokratischen Spektrums einzuordnen sei. Schließlich gebe es noch nicht einmal ein detailliertes Parteiprogramm. Ungeachtet des großen Verständnisses für den angeblich vom Westen bedrohten Putin fallen BSW-Politiker – anders als AfD-Vertreter – auch nicht mit rassistischen Sprüchen oder Remigrations-Fantasien auf. Aber das macht die Partei noch lange nicht zu einem akzeptablen Koalitions- oder Kooperationspartner.

Die CDU befindet sich in einem strategischen Dilemma. Eine klare Abgrenzung gegenüber dem BSW schränkt ihre Möglichkeiten, eine Regierung zu bilden, einerseits ein. Andererseits lässt sich das kategorische Nein zu einer über die thüringische Praxis hinausgehenden Zusammenarbeit mit der Linken nicht halten, wenn die Linken-Abspaltung BSW unter Führung der einstigen Chefin der Kommunistischen Plattform als „lupenrein“ demokratisch eingestuft wird.

Die SPD hat es zweifellos viel leichter. Sie hatte schon 1994, erst vier Jahre nach dem Mauerfall, keine Bedenken, sich der in PDS umbenannten SED als Mehrheitsbeschafferin zu bedienen. Bis heute koalieren SPD und Grüne, wenn es die Mehrheitsverhältnisse in Ländern und Kommunen zulassen, lieber mit der Linken als mit der CDU. SPD und Grüne würden auch nicht zögern, gemeinsam mit dem BSW die CDU in die Opposition zu schicken. Rot-Grün profitiert dabei von dem Umstand, dass die meisten Medien linke Radikale im Gegensatz zu Rechtsradikalen für „gute“ Radikale halten und Rot-Grün-Rot grundsätzlich nicht kritisch sehen.

Der CDU-Bundesparteitag stand ganz im Zeichen der Bestätigung von Friedrich Merz als unumstrittener Nummer eins sowie der Verabschiedung des neuen Grundsatzprogramms. Da blieb für eine klare Positionierung gegenüber der Wagenknecht-Truppe gar keine Zeit. Aber spätestens nach den Landtagswahlen im Osten wird die CDU auf die Frage, „Wie hälst Du es mit Sahra?“ eine Antwort finden müssen. Leicht wird das nicht.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 10. Mai 2024)


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