09.02.2024

Merkel hat der AfD die Startrampe gebaut, Scholz den Turbo gezündet

In den aktuellen Umfragen bringt es die AfD „nur“ noch auf 18 bis 20 Prozent und nicht mehr auf 22, wie noch vor wenigen Wochen. Gut möglich, dass manche Bürger bei Umfragen ihre Sympathie für die Rechtsaußentruppe nicht mehr so offen bekunden wie vor den Enthüllungen über die Remigrations-Phantasien der Höcke-Partei. Es könnte auch sein, dass die großen Demonstrationen gegen den Rechtsextremismus manche Wähler haben nachdenklich werden lassen.

Ob 18 oder 22 Prozent – die Zahl der Anhänger der in Teilen rechtsextremen Partei ist so hoch wie noch nie. Da drängt sich die Frage auf, wieso die einst als Anti-Euro-Partei angetretene Gruppierung so viel erfolgreicher ist als ihre Vorgänger NPD, DVU oder Republikaner.

Die Merkel-CDU hat rechts Platz gemacht

Zweifellos hat die CDU mit ihrem Modernisierungskurs unter Angela Merkel konservative Wähler heimatlos werden lassen. Als Beschleuniger wirkte dann Merkels Politik der offenen Grenzen im Sommer 2015. Die „Wir schaffen das“-Politik erwies sich als Konjunkturprogramm für die neue Konkurrenz am rechten Rand. Zur Erinnerung: Im Augst und September brachte es die AfD bei der monatlichen „Allensbach“-Umfrage nur noch auf 3,5 Prozent. Mit dem ungeregelten und unkontrollierten Zustrom an Flüchtlingen verdoppelte sich der AfD-Anteil auf 7 Prozent. Von da an ging es für die AfD fast nur noch bergauf.

Überheblichkeit der CDU half der Rechtsaußenpartei

SPD und Grüne besorgte das nicht allzu sehr, ging der AfD-Anstieg damals doch in erster Linie auf Kosten der Union. Merkel und die CDU setzten dem Newcomer jedoch nichts entgegen. Der damalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber verkündete im Herbst 2014, die AfD werde so schnell wieder verschwinden wie einst die Piraten. Was für eine überhebliche Fehlprognose!

Sich mit der – vermeintlich vorübergehenden – Existenz der AfD abzufinden, war für Merkels Parteimanager recht bequem. Wenn man das Aufkommen einer neuen Partei wie ein Naturereignis betrachtet und nicht als Ergebnis eigener Fehler, dann lebt es sich viel leichter. Die AfD ist fast zehn Jahre nach Taubers großspuriger Ankündigung jedenfalls stärker denn je.

Ampel hat der AfD weiteren Auftrieb verschafft

Bei der Bundestagswahl 2021 war das Thema Flüchtlinge nicht mehr so virulent wie nach 2015. Mit 10,3 Prozent schnitt die AfD schwächer ab als 2017 (12,6 Prozent), hatte sich aber etabliert. Mächtigen Aufwind bekam die AfD dann unter der Regierung Scholz/Habeck/Lindner.

Da kam einiges zu ihren Gunsten zusammen. Die Inflation traf die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen besonders hart. Dazu verunsicherte die bisweilen erratische Energiepolitik viele Menschen. Zuerst wollte die Regierung auf die nach dem russischen Überfall auf die Ukraine steil angestiegenen Gaspreise noch eine Gaspreisumlage erheben. Von dieser zusätzlichen Belastung von Haushalten und Unternehmen rückte die Ampel im Herbst 2022 dann selbst ab.

„Heizungshammer“ verunsicherte die Bürger

Dann sorgte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) mit seinem „Heizungshammer“ im Frühjahr 2023 für Unmut auf breiter Front. Vor allem die Besitzer kleiner, älterer Häuser befürchteten zu Recht, die Anschaffung einer Wärmepumpe sowie die notwendige Isolierung werde sie finanziell überfordern.

Mit dem Zustrom der Ukraine-Flüchtlinge im Laufe des Jahres 2022 gewann das Thema Migration wieder an Bedeutung. Die Menschen erlebten unmittelbar die Schwierigkeiten der Kommunen, die Neuankömmlinge unterzubringen, medizinisch zu versorgen und ihre Kinder zu unterrichten.

Ampel nahm Flüchtlingszustrom nicht ernst

Zudem sahen sie eine Bundesregierung, die die Zuwanderung mehr oder weniger tatenlos registrierte. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hielt Kontrollen an unseren östlichen Grenzen lange Zeit für überflüssig. Folglich rückte das Thema „Asyl/Zuwanderung/ Integration“ laut „Politbarometer“ neben der Energieversorgung auf der Rangliste der drängendsten Probleme wieder ganz nach vorne.

Das alles hat sich in Umfragen zugunsten der AfD niedergeschlagen. Aus 10 Prozent im Januar 2022 wurden laut „Allensbach“ 14 Prozent im Januar 2023 und aktuell 19,5 Prozent. Dabei profitierte die AfD vom Niedergang der heillos zerstrittenen Linken. Wem günstige Gaspreise wichtiger sind als Hilfe für die Ukraine, wurde und wird von der AfD noch besser bedient als von der einstigen SED.

Merkels Erbe von Scholz gemehrt

Das Entstehen der AfD und ihre Etablierung im Parteiensystem gehört zweifellos zum Erbe Merkels; die Verdoppelung der Zahl ihrer Anhänger innerhalb von 18 Monaten müssen sich dagegen die Ampel-Parteien anrechnen lassen. Wenn zwei Drittel der Bürger der Regierung ein schlechtes Zeugnis ausstellen und noch mehr mit der Leistung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unzufrieden sind, dürfen sich die Regierenden nicht wundern, wenn radikale und extreme Parolen auf fruchtbaren Boden fallen.

Links von der Mitte verortete Politiker, Professoren und Publizisten haben zur Schuldfrage in Bezug auf den AfD-Aufstieg spezielle Antworten. Wer mehr oder weniger unverändert für eine möglichst große Zuwanderung eintritt, lässt das Thema Migration als eine wesentliche Ursache nicht gelten. Wer die SPD/Grüne/FDP-Regierung unverändert für eine „Fortschrittskoalition“ hält, bestreitet natürlich jeglichen Beitrag der Ampel zur derzeitigen Stimmungslage.

Die These von der Schuld der CDU/CSU

Aus linksgrüner Perspektive bleibt dann – neben dem auch bei uns zweifellos vorhandenen Anteil von Rechtsextremen – nur noch ein Hauptschuldiger: die CDU/CSU. So wird in vielen Medien, nicht zuletzt in den öffentlich-rechtlichen – behauptet, die Stärke der AfD sei auch ein Produkt der Schwäche der Opposition. Die kühne These dazu: Wenn die CDU/CSU besser wäre, würde sie mehr von der Ampel enttäuschte Wähler an sich binden.

Das lässt sich leichter behaupten als belegen. In der Allensbach-Umfrage von Ende Januar kommt die CDU/CSU auf 34 Prozent – ungeachtet des hohen AfD-Wertes. Was dabei gern übersehen wird: Die Union liegt in den aktuellen Umfragen 6 bis 10 Prozentpunkte über ihrem schlechten Ergebnis von 2021 (24,1 Prozent). Ganz offenkundig hat die CDU/CSU Wähler zurückgewonnen, die ihr bei der letzten Wahl den Rücken gekehrt hatten.

Angeblich hat die Union die AfD hoffähig gemacht

Der anspruchsvollere Versuch, der CDU/CSU die Zugewinne der AfD in die Schuhe zu schieben, lautet so: Die Union habe mit ihrer Kritik an der Migrationspolitik das „Narrativ“ der AfD übernommen und so diese hoffähig gemacht. Mit diesem Tenor wird auf vielen Demonstrationen „gegen rechts“ vom Rednerpult aus wie auf Transparenten klar Front gegen die CDU/CSU gemacht. Rechts und rechtsradikal werden da in klarer parteipolitischer Absicht gleichgesetzt.

Wer die Ampel von jeglicher Mitverantwortung freisprechen will, findet auch wissenschaftlichen Beistand. So lässt der „Spiegel“ Andreas Wirsching, Professor für Neueste Geschichte an der Universität München, zu Wort kommen. Der hat den Hauptschuldigen ausgemacht: die Union.

„Einwanderung ist hoch ideologisiert“

Wirschings zentrale These lautet: „Einwanderung und Multikulturalismus sind heute hoch ideologisiert, und dafür tragen die CDU und die CSU ein erhebliches Maß an Verantwortung. Somit hat die Verweigerung, sich diesem Thema rechtzeitig pragmatisch und lösungsorientiert zu widmen, zum Aufstieg der AfD mit beigetragen.“

Falls Wirsching damit sagen will, die Politik Merkels – von SPD und Grünen mitgetragen – sei 2015/16 nicht „lösungsorientiert“ gewesen, ist ihm sogar zuzustimmen. Doch hat das damalige, von den meisten Medien bejubelte planlose Vorgehen letztlich zur „Ideologisierung“ der Zuwanderungs-Thematik beigetragen – und die schon totgeglaubte AfD wiederbelebt.

Durch Beschimpfung gewinnt man keine AfD-Wähler zurück

Man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Etwa die Hälfte der AfD-Wähler hat laut „Allensbach“ rechtsradikale Einstellungen; die werden die demokratischen Parteien kaum zurückgewinnen können. Die andere Hälfte, die Protest- und Wutwähler“, sind für die Demokratie nicht verloren. Sie lassen sich aber weder durch Beschimpfung als Nazis noch durch gutgemeinte Appelle überzeugen, sondern allein durch eine andere, bessere Politik.

Noch mehr Zuwanderung würde der AfD helfen

Die Menschen erwarten zu allen Zeiten von der Politik, dass sie die drängenden Probleme löst, wenn nicht sofort, dann in einem überschaubaren Zeitraum. Das Thema „Asyl/Zuwanderung/ Integration“ exklusiv der AfD zu überlassen, wäre fahrlässig und dumm. Kontraproduktiv ist es auch, wenn auf den Kundgebungen „gegen rechts“ die Ampel für die eingeleiteten Korrekturen in der Flüchtlingspolitik teilweise scharf kritisiert wird. Noch mehr Zuwanderung wäre nur Wasser auf die Mühlen der AfD. Die aktuelle Stärke der AfD ist eine Herausforderung für alle demokratische Parteien und alle Demokraten. Wer sich ihr stellen will, sollte sich über die Ursachen klar werden. Denn diese Partei ist nicht vom Himmel gefallen noch aus der Hölle gekrochen.

Die AfD profitiert von politischen Entscheidungen, die am Volk vorbei getroffen wurden, in der Flüchtlingskrise 2015/16 wie durch die Ampel. Zugespitzt formuliert: Merkel hat der AfD die Startrampe gebaut, Scholz den Turbo gezündet. Nun wundern sich alle über die braunen Rauchschwaden.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 9. Februar 2024)


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