08.02.2024

Die rot-grün-gelbe Mehrheit im Bundestag ist nicht in Gefahr

Am 26. September 2021 wählten die Berliner neben ihren Bundestagsabgeordneten auch die Mitglieder des Abgeordnetenhauses und der Bezirksversammlungen. Was sich da abspielte, das hatte es in diesem Ausmaß noch nie gegeben: Fehlende oder falsche Stimmzettel, lange Schlangen vor den Wahllokalen, zeitweilige Schließung von Wahllokalen, Stimmabgabe noch lange nach 18 Uhr, als die ersten Prognosen über den Wahlausgang bereits bekannt waren.

Dieses Chaos unter dem rot-rot-grünen Senat verglich Bundesverfassungsrichter Peter Müller später mit „Zuständen in einer Diktatur“ und „Verhältnissen wie in irgendeinem diktatorischen Entwicklungsland“. Das hatte – anders als in Diktaturen üblich - auch sein Gutes: Alle Berliner bekamen bei der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus die Chance, den Pannensenat abzuwählen. Was sie auch im Februar vor einem Jahr auch taten.

Die in jahrzehnter langer Praxis eingeübte Schlamperei der Verwaltung nach dem Motto „Dit is Berlin“ führt nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts dazu, dass am kommenden Sonntag rund 550.000 Berliner in 455 von 2.256 Berliner Wahlbezirken noch einmal ihre Stimme abgeben dürfen. Das betrifft 20 Prozent aller wahlberechtigten Hauptstädter und knapp 1 Prozent aller wahlberechtigten Bundesbürger. Aus Sicht der Karlsruher Richter waren die Pannen nicht schwerwiegend genug, um die Bundestagswahl komplett zu wiederholen.

Anders als bei der Wahlwiederholung auf Landesebene steht das wichtigste Ergebnis schon fest: An der Zusammensetzung des Bundestags wird sich nichts Wesentliches ändern. Bei niedriger Wahlbeteiligung könnte die Hauptstadt eines ihrer 29 Bundestagsmandate an ein anderes Bundesland verlieren. Aber die rot-grün-gelbe Mehrheit im Bundestag ist nicht in Gefahr.

Alle Linken-Abgeordneten werden ihre Mandate behalten können

Auch wird nicht eintreten, was manche erhofft und andere befürchtet hatten: Weder Gregor Gysi noch Gesine Lötzsch müssen um ihr Direktmandat bangen. In beiden Wahlkreisen wird in so wenigen Bezirken gewählt, dass beide Linken-Politiker ihre Mandate schon rechnerisch nicht verlieren können. Das bedeutet: Alle 36 Linken-Abgeordnete, die 2021 nur dank dreier Direktmandate (zwei in Berlin, eines in Leipzig) in den Bundestag eingezogen sind, behalten ihre Mandate. Das betrifft auch diejenigen, die inzwischen zum „Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) übergelaufen sind.

Da es sich am Sonntag um eine Wiederholungswahl handelt, stehen auf den Stimmzetteln dieselben Kandidaten wie im Herbst 2021, ganz gleich, ob sie das Mandat annehmen würden oder nicht. Das hat teilweise seltsame Folgen: Bei dem SPD-Politiker Michael Müller steht als Beruf auf dem Stimmzettel „Regierender Bürgermeister“, obwohl er bereits 2021 in den Bundestag gewählt wurde.

Noch kurioser ist, dass im Wahlkreis Steglitz-Zehlendorf für die AfD Birgit Malsack-Winkemann kandidiert und ebenfalls auf Platz fünf der AfD-Landesliste steht. Die ehemalige Richterin konnte jetzt freilich keinen Wahlkampf machen, weil sie unter dem Verdacht in Untersuchungshaft sitzt, zusammen mit Heinrich XIII. Prinz Reuß und anderen „Reichsbürgern“ einen Staatsstreich geplant zu haben. 2021 hatte sie 5,3 Prozent der Erststimmen erzielt. Es wird interessant sein, ob sie ungeachtet dieser Vorwürfe ihren Stimmenanteil halten oder gar ausbauen kann.

Von einem echten Wahlkampf war in Berlin nicht allzu viel zu spüren. Schließlich geht es aus bundespolitscher Sicht um nicht viel, obwohl die CDU mit dem Slogan „Zeig der Ampel das Stopp-Zeichen!“ wirbt. Falls sich der Bundestrend in der Hauptstadt niederschlägt, müsste die CDU Stimmen dazugewinnen, während die Ampel-Parteien sich auf Verluste einzustellen hätten.

So hofft der frühere CDU-Abgeordnete Klaus-Dieter Gröhler im Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf, das 2021 an Michael Müller verlorene Direktmandat zurückzuerobern. Der SPD-Mann Müller müsste freilich nicht aus dem Bundestag ausscheiden; er ist über die Landesliste abgesichert. Gröhlers Erfolg könnte hingegen zu einem schweren Rückschlag für die Berliner CDU-Generalsekretärin Ottilie Klein werden. Sie würden wohl ihr über die Liste gewonnenes Mandat verlieren.

Spannend wird es nur in Charlottenburg-Wilmersdorf und Pankow

Spannend kann es auch im Wahlkreis Pankow werden. Dort rechnet sich die die CDU-Politikerin Manuela Anders-Granitzki Chancen aus, dem Grünen Stefan Gelbhaar den Wahlkreis abzunehmen. Ebenfalls ihre Direktmandate verlieren könnten die einstige Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters (CDU), und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Das wäre für sie nicht schön, hätte aber keine gravierenden Folgen: Beide sind über die Landesliste abgesichert.

Gewählt wird in allen zwölf Berliner Bundestagswahlkreisen. Wirklich relevant ist die Wiederholungswahl jedoch nur in den erwähnten Wahlkreisen Pankow und Charlottenburg-Wilmersdorf. Dort muss die Wahl nämlich in 85 beziehungsweise 42 Prozent der Wahlbezirke wiederholt werden. Deshalb können sich dort die Mehrheitsverhältnisse ändern. In Lichtenberg wird dagegen nur in 2,9 Prozent der Bezirke gewählt, in Treptow-Köpenick nur in 3,4 Prozent.

Aus alldem lassen sich zwei Prognosen ableiten. Prognose 1: Da es um nicht viel geht, dürfte die Wahlbeteiligung deutlich unter den 74,5 Prozent vom September 2021 bleiben. Zudem ist der Wahlsonntag der letzte Tag der Berliner Winterferien. Da könnten viele Wähler noch auf der Rückreise sein.

Prognose 2: Parteien, die gut abschneiden, werden von einem wichtigen Stimmungstest von bundesweiter Bedeutung sprechen. Wahlverlierer werden die Ergebnisse dagegen wegen der geringeren Wahlbeteiligung als nebensächlich abtun. So gesehen ist diese Wiederholungswahl – ungeachtet aller Besonderheiten – eine ganz gewöhnliche Wahl.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 8. Februar 2024)


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