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19.11.2023
Arbeitsminister Heil redet sich die Migration schön
Wenn Journalisten Politiker befragen, bekommen sie in der Regel eine Antwort. Doch haben die meisten Politiker die Fähigkeit entwickelt, etwas ganz anderes zu sagen, wenn ihnen die Frage nicht gefällt oder eine ehrliche Antwort politisch zu gefährlich wäre.
Ein Musterbeispiel für die Methode, sich um eine glaubwürdige Antwort zu drücken, lieferte jetzt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Die „Welt am Sonntag“ wollte von dem SPD-Politiker wissen, ob die schlechten Umfragewerte der Ampel-Parteien nicht auch daran lägen, dass viele Menschen in unsere Sozialsysteme einwanderten, und es mehr Bürgergeldempfänger mit ausländischem als mit deutschem Pass gebe.
Es gibt angenehmere Fragen für einen sozialdemokratischen Arbeitsminister. Doch der Polit-Profi Heil gab eine „Antwort“, die eine heile Welt vorgaukelte. Heil: „Die Rekordbeschäftigung, die wir haben, verdanken wir zu einem starken Teil der Zuwanderung. Also die meisten Menschen wandern in unseren Arbeitsmarkt ein und nicht in die Sozialsysteme.“
Man braucht schon eine rosarote Brille, um einen so erfreulichen Zusammenhang zwischen hoher Beschäftigung und Zuwanderung zu sehen wie Heil. Denn die Zahlen sagen etwas anderes.
Mit Rekordbeschäftigung haben die Flüchtlinge nichts zu tun
Nach Angaben des statistischen Bundesamts kamen 2022 knapp 1,45 Millionen Menschen mehr nach Deutschland, als im gleichen Zeitraum weggezogen sind. Damit war die Nettozuwanderung, so die Statistiker, „so hoch wie noch nie seit 1950“.
Von den knapp 1,45 Millionen Zuwanderern waren im vergangenen Jahr allein 1,1 Millionen ukrainische Flüchtlinge. Dass die nicht viel zur Rekordbeschäftigung beigetragen haben, musste Heil gegenüber der „Welt am Sonntag“ selbst einräumen.
Bekanntlich arbeiten in keinem anderen europäischen Land so wenige ukrainische Flüchtlinge wie bei uns. Heil: „Von den ukrainischen Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter sind inzwischen rund 140.000 in Arbeit. Das reicht mir nicht, aber die Richtung stimmt.“
Nun kann man einwenden, dass es für Kriegsflüchtlinge schwer ist, in einem fremden Land sofort Arbeit zu finden. Doch in Ländern wie Polen, der Tschechischen Republik oder Dänemark arbeiten bereits zwei Drittel und mehr der ukrainischen Flüchtlinge. In Deutschland leben dagegen vier von fünf Ukrainern vom Bürgergeld.
Mit der Rekordbeschäftigung hat diese große Gruppe der ukrainischen Zuwanderer also nichts zu tun. Bei den vielen Flüchtlingen, die 2015/16 vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak zu uns kamen, kann ebenfalls nicht von einem besonderen Engagement auf dem Arbeitsmarkt gesprochen werden.
Viele Zugewanderte können sich und ihre Familien nicht aus eigener Kraft ernähren
Nach Feststellung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei der Bundesagentur für Arbeit hatten 2021 – also nach sechs Jahren – erst 54 Prozent der Flüchtlinge von 2015/16 einen Arbeitsplatz.
Davon arbeitete jedoch gerade mal ein Drittel (35 Prozent) Vollzeit. Und ob diese Zuwanderer davon leben können, ist zumindest bei denen zweifelhaft, die eine Familie zu versorgen haben.
Das mittlere Bruttomonatseinkommen dieser Vollzeiterwerbstätigen belief sich laut IAB auf gut 2.000 Euro – brutto! „Mittleres Einkommen heißt“: Jeder Zweite verdient weniger als 2000 Euro brutto. Diese werden folglich ebenso wie die Teilzeitbeschäftigten unter den Flüchtlingen von damals als „Aufstocker“ vom Staat, das heißt den Steuerzahlern, unterstützt. Sie tragen also zu der von Minister Heil gepriesenen Rekordbeschäftigung bei, können sich und ihre Familien jedoch nicht aus eigener Kraft ernähren.
Nun ist Deutschland auf den Zuzug von Fachkräften angewiesen. Die freilich kommen nicht in ausreichende Zahl. Ob aus denen, die in die Sozialsysteme einwandern, eines Tages doch noch qualifizierte Arbeitnehmer werden, erscheint eher fraglich.
Denn die zugewanderten Bürgergeld-Empfänger dürften sich nicht völlig anders verhalten als deutsche „Stütze“-Bezieher. Wer sich in dem – im internationalen Vergleich – sehr großzügigen Sozialsystem erst einmal eingerichtet hat, ist für den regulären Arbeitsmarkt meistens verloren.
Minister in der Rolle des Märchenonkels
Um auf die von Heil so gepriesene Rekordbeschäftigung zurückzukommen: Mangel an Fachkräften kann eine Wachstumsbremse sein; er ist es auch in bestimmten Branchen. Aber durch eine unkontrollierte und ungesteuerte Zuwanderung lässt sich der Fachkräftemangel nicht beheben.
Arbeitsminister Heil weiß wohl am besten, dass der von ihm konstruierte pauschale Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Rekordbeschäftigung pure Schönfärberei ist.
Der Arbeitsminister hätte auch Folgendes antworten können: „Ich verstehe den Unmut vieler Menschen über Zuwanderer, die in erster Linie wegen der hohen Sozialleistungen nach Deutschland kommen. Dagegen müssen wird dringend etwas tun.“
Es wäre eine ehrliche Antwort gewesen – aber auch eine gefährliche. Sie hätte heftigen Widerspruch in seiner eigenen Partei wie bei den Grünen ausgelöst. So entschied sich Heil für eine politisch korrekte Antwort – und die Rolle des Märchenonkels.
(Veröffentlicht auf www.focus.de am 19. November 2023)
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