16.11.2023

Schwarz-Rot in Hessen: Für das Jammern und Klagen der Grünen gibt es keinen Grund

Klageweiber müssen die Grünen, wie das im alten Ägypten oder auch im antiken Griechenland üblich war, nicht eigens anheuern. Das Ende der schwarz-grünen Koalition in Hessen betrauern sie selbst – und das ausgiebig. Der Schock, dass Ministerpräsident Boris Rhein und seine CDU nach zehn Jahren der Zusammenarbeit mit den Grünen sich jetzt für die SPD entschieden haben, sitzt tief.

Als souveräne Verlierer der Sondierungen präsentieren sich die Grünen nicht. Sie erinnern eher an ein Kind, dem das Lieblingsspielzeug weggenommen wurde. Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, ein ausgesprochener Realo, kann es gar nicht fassen. Mit ihrer Entscheidung für die SPD sei die CDU der Fehleinschätzung gefolgt, dass der eigene Stern heller leuchte, wenn man sich mit kleinen Lichtern umgebe, giftete der erfolglose Spitzenkandidat der Grünen. Er fällt auch tief. Im Sommer 2022 hatte er sich noch Hoffnungen gemacht, in die Staatskanzlei einzuziehen. Jetzt endeten die Grünen hinter CDU, AfD und SPD auf Platz 4.

Grüne verhalten sich in Hessen wie schlechte Verlierer

Enttäuscht von der CDU und erbost über die SPD, das ist die Stimmungslage bei der Noch-Regierungspartei. Wie bei schlechten Verlierern üblich, fehlt es nicht an Angriffen auf die SPD, die im einst „roten Hessen“ nach einem Vierteljahrhundert wieder in die Regierung zurückkehren kann. Das Eckpunkte-Papier aus den Sondierungsgesprächen von CDU und SPD nannte der Fraktionsvorsitzende der Grünen Mathias Wagner ein „Unterwerfungs-Papier“: „Es findet sich darin nahezu nichts, was bislang originär der SPD wichtig war“.

Richtig ist, dass Union und Grüne in der vor zehn Jahren von Rheins Vorgänger Volker Bouffier mit Al-Wazir geschmiedeten Koalition gut und geräuschlos zusammenarbeiteten. Das hat nichts daran geändert, dass auch die hessischen Grünen im Kern eine linke Partei sind. Pragmatismus bei der Wahrnehmung von Machtoptionen ist nicht verwerflich, zeugt aber keineswegs von einer inhaltlichen Annäherung an die CDU bei Themen wie Migration, Sicherheit, Straßenbau oder dem Frankfurter Flughafen, dem mit Abstand größtem Arbeitgeber des Landes.

Dass sich die Grünen deutlich links von der Mitte positioniert haben, zeigte sich erst im März bei der Wahl des Frankfurter Oberbürgermeisters. Dort standen die Grünen in der Stichwahl fest an der Seite des SPD-Kandidaten Mike Josef. Er siegte mit 51,7 Prozent vor dem CDU-Bewerber Uwe Becker (48,3 Prozent), dem knappsten Ergebnis seit Einführung der OB-Direktwahlen vor 30 Jahren.

Das hätte der SPD-Kandidat ohne die Grünen nicht geschafft. Dabei wäre Becker, ein Mann vom CDU-Sozialflügel und Beauftragter der Landesregierung für „Jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus“, der grünen Klientel durchaus vermittelbar gewesen. Doch im Zweifelsfall ist den Grünen fast jeder andere Kandidat lieber als einer von der CDU.

Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen

Wenn die Grünen jetzt lauthals jammern, Rhein habe ihnen ohne einleuchtenden Grund den Stuhl vor die Tür zum Kabinettssaal gestellt, übersehen sie ihr eigenes Verhalten. In Frankfurt beispielsweise hatten sie von 2006 an in einem Jamaika-Bündnis mit CDU und FDP regiert, später dann in einer Viererkoalition unter Einbeziehung der SPD. Kaum aber waren die Grünen 2021 stärkste Fraktion im Stadtparlament geworden, wollten sie mit der CDU nichts mehr zu tun haben.

Seitdem wird der Magistrat, die Stadtregierung, von vier Parteien gestellt. Neben den Ampelparteien ist noch die Kleinpartei Volt mit von der Partie. Zeitweise hatten die Grünen damit geliebäugelt, die Linkspartei als Mehrheitsbeschafferin mit ins Boot zu nehmen. Die Marschroute war damals klar: lieber mit der Ex-SED als mit der CDU.

Boris Rhein war bei der bisher bittersten Niederlage in seiner Laufbahn, der verlorenen Frankfurter Oberbürgermeisterwahl 2012, selbst Opfer der grünen Strategie, die CDU zu verhindern, wo es nur geht. Rhein hatte in Frankfurt die Koalitionsvereinbarungen mit den Grünen mitverhandelt. Doch als es in der Stichwahl um das Amt das Stadtoberhaupts um alles ging, unterstützten ihn die Grünen-Spitze nur formal. Mancher Prominente der Grünen gab hingegen zu verstehen, dass der CDU-Mann nicht wählbar sei. So kam Peter Feldmann mit Hilfe vieler grüner Stimmen auf den OB-Sessel. Das Ende ist bekannt. Der wegen Korruptionsvorwürfen und vielen peinlichen Auftritten nicht mehr haltbare Feldmann wurde 2022 in einem Bürgerentscheid abgewählt.

Schwarz-Grün kommt bei bürgerlichen Wählern nicht an

Der Machtverlust tut den Grünen weh. Schließlich ist Hessen nach Berlin bereits das zweite Bundesland, in dem die CDU lieber mit der SPD als mit der Öko-Partei regiert. Allerdings stehen die Berliner Grünen sehr viel weiter links als ihre hessischen Parteifreunde. Dennoch hätten auch sie liebend gerne mit der CDU koaliert, nachdem die SPD das rot-grün-rote Bündnis nicht fortsetzen wollte.

Unbestreitbar sind die Grünen von heute eine ganz andere Partei als noch in den 1980er- und 1990er-Jahren: weniger radikal, viel realistischer. Doch im Kern sind sie eine linke Partei geblieben. Wenn es um die Macht geht, ist die CDU ein willkommener Partner. Sobald man aber auch ohne CDU regieren kann, tut man das. Da ist dann selbst die Linke höchst willkommen.

Die grünen Klagemänner und Klagefrauen können sich nur schwer damit abfinden, von der CDU nicht mehr automatisch als Koalitionspartner eingeplant zu werden. Denn die CDU wird sich allmählich bewusst, dass Schwarz-Grün in den meisten Medien stets gut ankommt – jedoch weniger in weiten Kreisen bürgerlicher Wähler. Wenn Boris Rhein sich vor der Wahl hundertprozentig auf ein schwarz-grünes „Weiter so“ festgelegt hätte, wäre das CDU-Ergebnis vermutlich nicht so gut und das der AfD noch besser ausgefallen. Wenigstens Letzteres sollte die Grünen freuen – wenn auch unter Tränen.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 16. November 2023)


» Artikel kommentieren

Kommentare



Drucken
Müller-Vogg am Mikrofon

Presse

01. November 2023 | Hauptstadt – Das Briefing

Ampel-Krise

» mehr

Buchtipp

konservativ?! Miniaturen aus Kultur, Politik und Wirtschaft

konservativ?! Miniaturen aus Kultur, Politik und Wirtschaft

» mehr

Biografie

Dr. Hugo Müller Vogg

Hugo-Müller-Vogg

» mehr