15.09.2022

Das neue Bürgergeld: Förden first, Fördern second, Fordern third

Hartz IV soll abgeschafft werden. Genauer: Diese Transferleistung wird ersetzt durch ein Bürgergeld. Der Begriff Hartz IV ist nämlich negativ besetzt. Da hat die Kampagne von ganz links („Hartz IV ist Armut per Gesetz“) gewirkt. Überdies wollen SPD und Grüne nicht mehr daran erinnert werden, dass diese sozialpolitisch umstrittenen, beschäftigungspolitisch sehr erfolgreichen Hartz-Gesetze ihr Werk sind. Bürgergeld klingt halt viel freundlicher.

Außerdem können sich die Freien Demokraten rühmen, schon seit vielen Jahren für ein Bürgergeld eingetreten zu sein. Das „Liberale Bürgergeld“ hat freilich mit dem Konzept der Ampel nichts zu tun. Im FDP-Wahlprogramm hieß es dazu: „Wir wollen steuerfinanzierte Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II, die Grundsicherung im Alter, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder das Wohngeld in einer Leistung und an einer staatlichen Stelle zusammenfassen, auch im Sinne einer negativen Einkommensteuer. So möchten wir das Steuer- und Sozialsystem verbinden.“

Zu dieser Abstimmung von Steuer- und Sozialsystem sind SPD und Grüne nicht bereit. Das rot-grün-gelbe Bürgergeld hat folglich mit dem liberalen Konzept außer dem Namen nichts gemein. Bürgergeld bedeutet vielmehr: mehr finanzielle Förderung unter weitgehendem Verzicht auf Forderungen an die Leistungsempfänger. Die Ampel unter Führung von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) beerdigt also die Hartz-IV-Reformen. Ausgerechnet die FDP ist als Sargträger dabei.

Das Bürgergeld bedeutet den Abschied vom Prinzip des Forderns und Förderns. Falls die FDP an den Plänen von Arbeitsminister Hubertus Heil nichts Wesentliches ändern kann, lautet das Motto künftig: Fördern first, Fördern second, Fordern third.

Der Staat gönnt ein Leben ohne Arbeit

Ein positiver Aspekt von Heils Plan soll nicht unerwähnt bleiben. Die Preisentwicklung macht es notwendig, bei der Anpassung dieser Transferleistung zum 1. Januar die zu erwartende Inflationsrate zu berücksichtigen, nicht wie bisher die des vergangenen Jahres. Das ist richtig und wichtig. Auch in Zukunft soll bei Erhöhungen die künftige Inflationsrate berücksichtigt werden, obwohl das mit Prognosen so eine Sache ist.

Im Grundsatz läuft das Bürgergeld auf ein „bedingungsloses Grundeinkommen light“ hinaus. Da schaut der Staat nicht mehr so genau hin, ob jemand auf das Transfereinkommen wirklich angewiesen ist oder ob er sich – zumindest auf Zeit – ein Leben ohne Arbeit gönnt.

Das beginnt bei der Vermögensfrage: Künftig soll das Schonvermögen 60.000 Euro betragen, für eine Familie mit zwei Kindern 150.00 Euro. Das heißt: Wer nicht arbeitet, muss in den ersten zwei Jahren sein Erspartes in dieser Höhe nicht antasten. Nun dürfte die Zahl von Bürgergeld-Empfängern mit solch hohen Rücklagen überschaubar sein – jedenfalls außerhalb der Jobcenter-Kunden aus Clans mit Migrationshintergrund. Allein die Höhe der Freibeträge wird Steuerzahler verwundern, die viel weniger auf der hohen Kante haben und dennoch für den Unterhalt dieser „Reichen“ aufkommen müssen.

Auch wird den Jobcentern die Möglichkeit genommen, arbeitsunwillige Bürgergeld-Empfänger entsprechend zu sanktionieren. Wer keine Neigung verspürt, sich ernsthaft um einen Job zu bemühen oder sich weiterzubilden, muss sechs Monate lang keine wesentlichen Nachteile befürchten. Auch danach werden die Sanktionen milder ausfallen als bisher.

Bürgergeld fördert Flucht in die Weiterbildung

Ein wichtige „Verbesserung“ aus der Sicht der Leistungsbezieher ist die Toleranz bei der Wohnung. Wer in einer für seine Verhältnisse zu großen und zu teuren Wohnung lebt, muss nicht mehr umziehen. In den ersten zwei Jahren des Bürgergeld-Bezugs wird der Staat die Miete voll übernehmen. Auch die Heizkosten werden wie bisher erstattet. Davon können Geringverdiener gerade in Zeiten explodierender Heizkosten nur träumen.

Das neue Bürgergeld belohnt zudem Selbstverständliches. Von Leistungsbeziehern sollte man eigentlich erwarten, dass sie sich weiterbilden oder Sprachkurse besuchen, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Das soll künftig mit einem monatlichen Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro prämiert werden. Da muss sich jeder Arbeitnehmer auf den Arm genommen fühlen, der sich neben seiner Berufstätigkeit auf eigene Kosten fortbildet.

Schließlich fördert das Bürgergeld die Flucht in die Weiterbildung. Bisher galt der sogenannte Vermittlungsvorrang. Wer ein Jobangebote hatte, musste es annehmen, selbst wenn er dafür eher überqualifiziert war. Jetzt können Arbeitslose, die angebotene Arbeiten nicht annehmen wollen, auf Weiterbildung setzen. Da dürften manche Arbeitnehmer und Beitragszahler neidisch werden.

Das Bürgergeld ist faktisch ein an wenige Bedingungen geknüpftes Grundeinkommen. Für dieses „Grundeinkommen light“ setzt die Regierung auf die Solidarität der Finanziers des Sozialstaates, also aller steuer- und beitragszahlenden Arbeitnehmer, Selbständigen und Unternehmer.

Lohnt es sich überhaupt noch zu arbeiten?

Es ist jedoch ein sehr eigenartiges Verständnis von Solidarität, das auf das Prinzip Leistung ohne Gegenleistung hinausläuft; ein teures und gefährliches Experiment ist es obendrein. Das ausgerechnet in einer Zeit, in der überall Arbeitskräfte gesucht werden. Es ist ja geradezu grotesk, dass die Regierung in der Türkei (vergeblich) Kofferträger anzuwerben versuchte, weil Langzeitarbeitslose diese Arbeit offenbar meiden. Wir „importieren“ auch Jahr für Jahr Erntehelfer aus dem Ausland, weil sich zu viele Arbeitslose in einem System von „Stütze plus etwas Schwarzarbeit“ eingerichtet haben. Wer dies nicht glaubt, möge versuchen, eine Hilfe für Haus oder Garten zu finden, die bereit ist, diese Einnahmen ordnungsgemäß zu versteuern. Oder jemanden, der im Winter morgens um 6 Uhr Schnee schippt. Er wird in Großstädten kaum Glück haben.

Was aber das Schlimmste am Bürgergeld ist: Es verringert den ohnehin schon geringen Abstand zwischen den Einkommen von Geringverdienern und den Bezügen von Leistungsempfängern. Die Grundsicherung steigt zum 1. Januar um 12 Prozent. Von solchen Erhöhungen können Arbeitnehmer nur träumen. Für einen Familienvater, der vielleicht 2000 oder 2300 Euro im Monat verdient, kann das Bürgergeld finanziell eine echte Alternative zur 38- oder 40-Stunden-Woche sein, in diesen Zeiten schon wegen der hundertprozentigen Übernahme der Heizkosten.

Arbeitsminister Heil ahnt, dass er und die Ampel-Koalition an dieser Front ein Problem bekommen kann. Im Deutschlandfunk verkündete er jetzt, die Regierung „lasse nicht zu, dass bedürftige Menschen gegen Menschen mit geringem Einkommen ausgespielt werden“. Vergleiche zwischen dem Nettoeinkommen von Geringverdienern und den Bürgergeldbezügen sind aber Teil einer auf Fakten basierenden Diskussion und kein „Ausspielen“ einer Gruppe gegen eine andere. Heil weiß auch, dass er das gar nicht verhindern kann. So bleibt ihm nur die Hoffnung, dass die Geringverdiener sich mit solchen Zahlen nicht beschäftigen. Doch da könnte er sich täuschen.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 15. September 2022)


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