09.12.2019

Die Adventsbotschaft der SPD lautet: April, April…

Am 2. Juni hat Andrea Nahles entnervt den SPD-Vorsitz aufgegeben. Sechs Monate und vier Tage später hat sich die Partei neu formiert. Sie steht anders da, aber sicher nicht besser. Als Nahles aufgab, lag die SPD in den Umfragen bei 18 bis 20 Prozent, vor dem Parteitag rangierte sie bei 13 bis 14 Prozent. Die erste Umfrage nach der Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ergab 11 Prozent, eine andere 16 Prozent. Ein Aufbruch sieht anders aus.

Hier ein paar Anmerkungen zur Lage.

Mitgliederentscheid: Ziele verfehlt

Die Einbeziehung der Mitglieder bei der Suche nach einer neuen Führung sollte die Basis mobilisieren und die Partei unter einer neuen Führung einen. Beides hat nicht geklappt. Wenn nur jeder zweite Sozialdemokrat überhaupt seine Stimme abgibt, dann spricht das für ein demonstratives Desinteresse vieler Mitglieder an der eigenen Partei, aber auch für eine weitverbreitete Resignation. Und geeint ist die Partei auch nicht. Die Gräben sind eher tiefer und breiter geworden.

Statt „GroKo-Aus“ heißt es April, April…

Die Mitglieder hatten zu Recht erwartet, dass sie mit ihrem Votum etwas klären: Weiter mit der GroKo oder raus aus der GroKo. Juso-Chef Kevin Kühnert, der neue starke Mann in der SPD-Spitze, hatte die Parole ausgegeben: „Nikolaus ist Gro-Ko-Aus“. Aber die neuen SPD-Vorsitzenden merkten schnell, dass sich Forderungen nach einem Koalitionsbruch leichter aufstellen als umsetzen lassen. Die SPD bleibt also in der Regierung. Die Botschaft des Parteitags an die Esken/Walter-Borjans-Wähler, die mit der Großen Koalition „fertig haben, lautet: April, April. Und der vom Groko-Saulus zum GroKo-Paulus gewendete Kühnert kann das begründen, als wäre ihm noch nie etwas lieber gewesen als ein „Weiter so“.

Ein neuer Riss geht durch die Partei

Die SPD bestand schon immer aus zwei Parteien: den Regierungs-Sozis, die konkret etwas bewirken wollen, und den Programm-Sozis, bei denen die Beschlusslage wichtiger ist als die Wirklichkeit oder Wählerwünsche. In guten Zeiten wurden beide Flügel von einer starken Persönlichkeit an der Spitze zusammengehalten: Willy Brandt, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder. Das Duo „Eskabo“ kann vielleicht die Partei zusammenhalten. Aber ihr stehen die Bundesminister, die Ministerpräsidenten und nicht zuletzt die Bundestagsfraktion gegenüber. Die haben ihnen gezeigt, dass sie keine Flucht aus der Koalition wollen. Die werden auch künftig nicht nach der Pfeife der Parteispitze tanzen.

Gespielte Harmonie

Der Parteitag sollte ein Bild der Einigkeit abgeben, innerparteiliche Solidarität vorleben. Deshalb hatten Vorstöße der Hard-Core-Linken keine Chance, der CDU/CSU harte Bedingungen für einen Verbleib in der Koalition zu diktieren. Auch sollte keine Kampfkandidatur zwischen dem GroKo-Befürworter und Arbeitsminister Hubertus Heil und dem einstigen GroKo-Gegner Kevin Kühnert das Bild der Geschlossenheit stören. Also wurde die Zahl der stellvertretenden Parteivorsitzenden von drei auf fünf erhöht. Aber bei der Wahl der Beisitzer zeigte sich, dass in den Reihen der Genossen kein vorweihnachtlicher Friede herrscht: Außenminister Heiko Maas musste sich einem demütigenden zweiten Wahlgang unterziehen, Ralf Stegner bekam so wenige Stimmen, dass er aufgab, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller wurde ebenfalls abgewählt. Es war halt wie immer: Jeder gegen jeden.

Gerhard Schröder ist abgewickelt

Gerhard Schröder hat vor 21 Jahren für die SPD das Kanzleramt erobert. Mit der Agenda 2010 hat er die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der neuen Wirklichkeit in einer globalen Wirtschaft angepasst. Von seinen 34,2 Prozent bei der Bundestagswahl 2005 kann die Partei heute nur noch träumen. Doch das Kapitel ist beendet. Mit ihrem neuen Sozialstaatskonzept erweckt die SPD den Eindruck, es gebe zwischen staatlicher Vollkasko-Versorgung, finanziert durch höhere Steuern und höhere Schulden, und der Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft keinen Zusammenhang. Aus "Fördern und Fordern“ als sozialpolitischem Leitmotiv wird „Verteilen und Umverteilen.“ Die SPD-Linke trieb in den 1970er-Jahren mit ihrer Forderung, „die Belastbarkeit der Wirtschaft zu testen“, Helmut Schmidt zur Verzweiflung. Heute dürfte Olaf Scholz am Verzweifeln sein. Aber falls er das laut sagte, würde er als schlechter Verlierer gescholten. Das passt ins Bild: Als Generalsekretär bezog Scholz parteiintern stets die Prügel stellvertretend für Schröder. Jetzt wurde er dafür geprügelt, dass er mehr von Ökonomie versteht als die im Bundestag bisher nicht aufgefallene Esken.

SPD als zweite Linkspartei

Vor kurzem hat die SPD sich mit Stolz an das Godesberger Programm von 1959 erinnert. Aus der Arbeiterpartei wurde eine Volkspartei, aus der ewigen Opposition eine Regierungs- und Kanzlerpartei. Jetzt hat sich die SPD zur Partei der kleinen Leute zurückentwickelt, zur Schutzmacht der Abgehängten. Das ist ehrenwert. Aber mit Niedriglöhnern und Grundrentenbeziehern allein lässt sich keine Mehrheit gewinnen. Dazu braucht die SPD auch ein Angebot an die breite Mitte der gut ausgebildeten, leistungsorientierten Arbeitnehmer. Die verdienen zu viel, um noch in den Genuss staatlicher Leistungen zu kommen, werden aber besteuert, als gehörten sie zu den Superreichen. „Reichtum“ beginnt bei der SPD, wie die Soli-Debatte zeigt, bekanntlich bei gut 74.000 Euro im Jahr (Alleinstehende, ohne Kinder). Mit ihren Berliner Beschlüssen ebnet sich die SPD nicht den Weg zurück ins Kanzleramt, sondern nähert sich inhaltlich der Linkspartei an. Da erscheint eher das Vizekanzleramt als höchstes erreichbares Ziel – unter einem grünen Kanzler und der Linkspartei als weiterem, fast gleich starkem Partner.

Veröffentlicht auf www.cicero.de am 8. Dezember 2019.


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