06.03.2023

Wagenknecht braucht für eine neue Partei Lafontaine als „Terminator“

Bei der Bundestagswahl 2005 schaffte die in PDS umbenannte einstige SED den Sprung von einer ostdeutschen Regionalpartei zu einer bundespolitischen Kraft. Die 8,7 Prozent der neu formierten Linkspartei waren das Werk zweier Männer: des Westdeutschen Oskar Lafontaine und des Ostdeutschen Gregor Gysi. Der „Ossi“ fürchtet derzeit um sein Lebenswerk, der „Wessi“ hingegen könnte dagegen zum zweiten Mal eine Partei nachhaltig beschädigen - nach der SPD jetzt eben die Linke.

Als Sahra Wagenknecht, die nur noch formal der Linkspartei angehört, vor gut einer Woche in Berlin ihren „Aufstand für den Frieden“ zelebrierte, stand ein Mann „stolz wie Oskar“ neben ihr auf der Bühne - Oskar Lafontaine, ihr Partner seit 2011 und Ehemann seit 2014. Der würde seine Frau vermutlich nicht alleine lassen, falls diese, wie viele vermuten, eine neue Partei gründen sollte - pazifistisch, sozialistisch und national in Sinn einer strikten Begrenzung der Zuwanderung.

Gysi: Für zwei linke Parteien würde es „sehr, sehr eng“

Aus guten Gründen sieht die Linken-Ikone Gysi die Partei in einer „existenziellen Krise“, wie er jetzt im Podcast „The Pioneer“ beklagte. Er spielte damit auf die internen Auseinandersetzungen zwischen der Mehrheit in der Linken-Fraktion und dem Wagenknecht-Flügel an.

Die Chancen für eine Wagenknecht-Partei beurteilt Gysi skeptisch. Bei der Bundestagswahl würde es für zwei linke Parteien “sehr, sehr eng“. Zudem bezweifelt Gysi, viele Jahre die unbestrittene Nummer eins in Partei und Fraktion, Wagenknechts organisatorische Fähigkeiten. Sein Urteil: „Sahra kann vieles, aber nicht organisieren.“

Gysi glaubt sogar zu wissen, dass Wagenknecht eigentlich gar keine Partei gründen wolle. Aber es gebe andere, die das wollten, „die zerren an ihr“. Ob ihr eigener Ehemann ebenfalls an der ehemaligen Kommunistin „zerrt“? Lafontaine jedenfalls kann, wenn er will, besser organisieren als seine Frau. Die sitzt nämlich lieber in TV-Studios als in Gremiensitzungen.

Gysi und Lafontaine kosteten 2005 die SPD die Kanzlerschaft

Eines ist unbestritten: Lafontaine ist als politischer „Terminator“ unübertroffen. Mit seinem Rücktritt als Bundesfinanzminister im Frühjahr 1999 brachte er die erste rot-grüne Bundesregierung Schröder/Fischer in große Schwierigkeiten. Von da an agierte der einstige SPD-Kanzlerkandidat (1990) und Parteivorsitzende (1995-1999) als Publizist und Redner als schärfster Kritiker des angeblich neoliberalen Kurses von Gerhard Schröder.

Als er sechs Jahre später mit Gysi die Westausdehnung der PDS organisierte, kostete das die SPD die Kanzlerschaft. Es war Lafontaines Rache an der Schröder-SPD und sein Beitrag zu der damals beginnenden 16-jährigen Ära Merkel. Dass die SPD seit 2009 im Bund - vor allem wegen der Linkspartei - nie mehr auch nur in die Nähe der 30-Prozent-Marke kam, dürfte ihr abtrünniger Chef geradezu genossen haben.

In der PDS, die seit 2007 als „Die Linke“ firmiert, ist Lafontaine ebenfalls nicht glücklich geworden - jedenfalls nicht auf Dauer. Aus der Bundespolitik hatte er sich 2009 aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen und war in die saarländische Landespolitik gewechselt. Dort erreichte der einstige saarländische SPD-Ministerpräsident (1985-1998) stets Linken-Ergebnisse, die weit über dem Bundesdurchschnitt lagen. Aber auch das ging nicht auf Dauer gut.

Das Ehepaar Lafontaine-Wagenknecht „kann“ Grabenkämpfe

Lafontaine ist, wie seine Ehefrau, Spezialist für innerparteiliche Grabenkämpfe. An der Saar verlor er einen Machtkampf mit dem dortigen Linken-Vorsitzenden. Kurz vor der Landtagswahl 2022 trat Lafontaine publikumswirksam aus der Linken aus. Die stürzte daraufhin auf 2,6 Prozent ab. 2009 hatte sie mit Lafontaine noch 21,3 Prozent erreicht.

Man kann also sagen, Lafontaine habe die von ihm mitbegründete und mitgeprägte Linkspartei an der Saar erledigt. Das könnte mit einer Wagenknecht-Partei im Bund ebenso gelingen. Ohnehin liegt Lafontaine seit der Flüchtlingskrise mit der Bundespartei über Kreuz, weil er ebenso wie Wagenknecht für rigorose Zuzugsbeschränkungen und konsequente Abschiebungen plädiert.

Bei seinem Bruch mit der SPD im Jahr 1999 und dem mit der Linken 23 Jahre später handelte Lafontaine nach demselben Muster: der eigenen Partei den größtmöglichen Schaden zuzufügen. Dazu würde die Abspaltung der Wagenknecht-Fraktion von der Linkspartei passen.

Eine Wagenknecht-Partei bedeutete das Aus für die Linkspartei

Sollten Wagenknecht und ihre Getreuen die linke Bundestagsfraktion verlassen, verlöre die ihren Status als Fraktion und damit an Geld und Einflussmöglichkeiten. Sollte Wagenknecht bei der Bundestagswahl 2025 antreten, würde das die Linke den Wiedereinzug in den Bundestag kosten, ganz gleich, ob Wagenknecht mit Hilfe von ehemaligen AfD-Wählern die Fünf-Prozent-Hürde schaffen würde oder nicht.

Gregor Gysi hat sicherlich recht: Eine Sahra Wagenknecht, die die Kärrnerarbeit einer Parteigründung auf sich nimmt, kann man sich nur schwer vorstellen. Ihre 2018 gestartete Initiative “Aufstehen“, mit der sie die Linkspartei auf ihre Linie bringen wollte, war ein Fehlschlag. Auch in der Bundestagsfraktion gehörte sie nie zu den Fleißigsten. Selbst als Co-Fraktionsvorsitzende ließ sie manchen Berlin-Termin ausfallen. Nach der Bundestagswahl 2021 hat sie es kategorisch abgelehnt, sich in einen Bundestagsausschuss entsenden zu lassen. Arbeit im Stillen, das ist nicht ihr Stil.

Gysis Befürchtung, Wagenknecht könnte von ihren eigenen Gefolgsleuten geradezu zur Parteigründung gedrängt werden, ist nicht unbegründet. Fürs Organisatorische würden sich schon willigen Helfer finden. Die Aussicht, die Linke zu erledigen, könnte auch den „Terminator“ Lafontaine beflügeln - als starker Mann hinter seiner publikumswirksamen Frau.

(Veröffentlicht auf www.Focus.de am 6. März 2023)


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