16.05.2025

Aufstieg der AfD: Grüne Moralapostel waschen ihre Hände in Unschuld

Er oder sie ist sich ganz sicher, auf der richtigen Seite zu stehen, kann minutiös aufzählen, was die anderen falsch machen und obendrein genau der Weg ins Paradies beschrieben. Päpste sind ungeachtet ihres Unfehlbarkeitsanspruchs in der Neuzeit so mehr nicht aufgetreten. Grünen-Politiker hingegen tun dies dagegen ständig.

Die Grünen sind vom Scheitern der von ihnen maßgeblich geprägten Ampel ebenso wenig deprimiert wie von ihrem zweiten, hochtrabend begonnenen und abermals erfolglosen Griff nach der Kanzlerschaft. Im Gegenteil: Sie haben sich einer neuen Aufgabe zugewandt: der als oberster moralischer Instanz der Republik, als Retter der Demokratie vor den „Nazis“. Vor allem die Co-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann schlüpft in die Rolle der Bußpredigerin, einer weltlichen, weiblichen Savonerola.

Eigentlich säßen die Grünen am liebsten zusammen mit der CDU/CSU in der Regierung. Das haben jedoch die Wähler verhindert. Deshalb werden jetzt die Union und vor allem Bundeskanzler Friedrich Merz von ihnen ständig und hart attackiert. Dabei versuchen sie die Frage eines AfD-Verbots zum Lackmustest für die wahre demokratische Gesinnung zu machen. Die Grünen sind selbstverständlich uneingeschränkt dafür. Wer dagegen wie die Union zunächst einmal die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ genauer anschauen will, macht sich aus der Sicht der Grünen verdächtig. Haßelmann: „Die CDU muss sich spätestens jetzt den Gefahren, die von der AfD ausgehen, stellen und sich klar positionieren“. Das klingt so, als habe die Union bisher noch nicht erkannt, welche Gefahr von Rechtsaußen droht. Dabei war es in erster Linie die AfD, die ein besseres Bundestagswahlergebnis der Union als die mageren 28,5 Prozent verhindert hat.

Die AfD hat in den drei rot-grün-gelben Ampel-Jahren ihren Stimmenanteil im Bund verdoppelt

Die Grünen – allen voran Haßelmann - unterstellen der CDU hingegen, sie nehme die AfD nicht ernst. Das traf zweifellos auf die Zeit zu, als Bundeskanzlerin Angela Merkel die neue Konkurrenz von rechts sträflich unterschätzte. Ihr Generalsekretär Peter Tauber gab 2014 sogar die Einschätzung zum Besten, die AfD werde nach ein, zwei Erfolgen bei Landtagswahlen wieder verschwinden wie die Piraten. Von solchen fatalen Fehleinschätzungen ist die Merz-CDU jedoch weit entfernt. Dennoch warnt Haßelmann die Union vor einer Verharmlosung derer, „die aus Frust und Enttäuschung AfD wählen“. Die könne man nur „durch gutes Regieren und gute Politik in die Mitte zurückholen. „Und diesen Anspruch löst Friedrich Merz bisher nicht ein“, beklagte die Co-Fraktionsvorsitzende am Dienstag.

Als Haßelmann das sagte, war Merz gerade mal eine Woche im Amt. Da klingt der Vorwurf, der Kanzler habe noch nicht geliefert, geradezu lächerlich. Was aber viel schlimmer ist: In ihrer Selbstgerechtigkeit sprechen sich die Grünen von jeder Mitverantwortung für den Aufstieg von Weidel, Höcke & Volksgenossen frei. Dabei hat die AfD in den drei rot-grün-gelben Ampel-Jahren ihren Stimmenanteil im Bund von 10,4 auf 20,8 Prozent verdoppelt und hat die SPD und die Grünen auf die Plätze drei und vier verwiesen. In einigen neuen Ländern hat sie in dieser Zeit ihre Stellung als stärkste Kraft sogar noch ausgebaut. Aber nicht Oppositionsführer Merz hat in dieser Zeit versagt. Es waren Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Vize Robert Habeck (Grüne), die nicht geliefert haben, was Haßelmann als Anti-AfD-Strategie fordert: „gutes Regieren und gute Politik“. So große Sorgen um ihre wirtschaftliche Zukunft wie zu Zeiten des Wirtschaftsministers Habeck machten sich die Menschen schon lange nicht mehr.

Die Grünen moralisieren gern, prangern mit Verve an, was andere angeblich falsch machen. Ihren eigenen Anteil am Erstarken der Rechtsextremisten wollen sie indes nicht wahrhaben. Sie haben keine Skrupel, „den ersten Stein“ zu werfen, weil sie sich „ohne Sünde“ fühlen. Man muss sogar den Eindruck gewinnen, die Grünen glaubten ernsthaft, wenn sie in den letzten zehn Jahren „Grün pur“ hätten praktizieren können, wäre am rechten Rand nie und nimmer eine neue Kraft entstanden. Diese Mischung aus Überheblichkeit und Naivität findet in grünen Milieus sowie auf Kirchen- und Katholikentagen viel Beifall, hat aber mit der politischen Realität nichts zu tun.

Die AfD ist 2013 entstanden als Anti-Euro-Partei. Zugleich war sie von Anfang an gesellschaftspolitisch sehr konservativ und somit attraktiv für Wähler, denen die CDU unter Merkel zu sehr „moderne Großstadtpartei“, also zu links geworden war. Wie sehr der grüne Zeitgeist damals das Land erfasst hatte, zeigte sich in der Flüchtlingskrise 2015. Merkels Politik der unbegrenzten und ungeregelten Zuwanderung wurde nicht nur von den Grünen und den meisten Medien unterstützt und als Inbegriff von Humanität gefeiert. Sie fand auch – jedenfalls für eine gewisse Zeit – die Zustimmung der Mehrheit. Die Minderheit, die das völlig anders sah, fand in der AfD eine neue politische Heimat.

Wo die Grünen das Sagen haben, geben sie sich als Volkserzieher

Keine Partei hat sich gegen eine restriktivere Zuwanderungspolitik so gewehrt wie die Grünen. In der Ampel handelten sie das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) mit aus. Ihre Europa-Abgeordneten stimmten aber dagegen. Ob es um sichere Herkunftsstaaten, den Familiennachzug oder die Bezahlkarte für Flüchtlinge ging – wo sie konnten, stellten die Grünen sich quer. Und jeder Vorstoß der Union, von der Merkelschen Politik abzurücken, wurde von ihnen als „Übernahme des AfD-Narrativ“ gebrandmarkt. Obwohl selbst grüne Kommunalpolitiker die Folgen der vielen Zuwanderer beklagten, erweckten die Grünen im Bund den Eindruck, der Zustrom von Menschen aus fremden Kulturkreisen und der Zulauf zur AfD hätten rein gar nichts miteinander zu tun.

Jenseits der Flüchtlingspolitik nach dem Motto „Uns wurden Menschen geschenkt“ (Katrin Göring-Eckart) sorgten noch andere Entwicklungen für eine Stärkung der AfD, die sich den aus unterschiedlichen Gründen Unzufriedenen als neue Heimat anbot. Wo die Grünen das Sagen hatten und haben, geben sie sich als Volkserzieher, als jene Kraft, die den einfachen Menschen sagt und vorschreibt, was gut und richtig ist. Das systematische Verdrängen der Autos aus den Innenstädten, eine Klimapolitik mit Habecks Heizungsgesetz als Inbegriff staatlichen Zwangs, ein aggressiver Feminismus, fleischloses Schul- und Kantinenessen, „Gender-Gaga“ und eine Weltsicht, die jede noch so kleine Minderheit und selbsternannte Opfergruppe wichtiger nimmt als die Anliegen der Mehrheit – das waren und sind die Zutaten grüner Fortschrittspolitik. Dass die CDU aus opportunistischen Gründen da bisweilen mitgemacht hat, macht das Ganze nicht besser. Die AfD lebte und lebt jedenfalls gut davon, auch weil die Merz-CDU sich von der Mitverantwortung der Merkel-CDU für viele Fehlentwicklungen nicht freisprechen kann.

Man weiß nicht so recht, ob man die Grünen ob ihrer Chuzpe beneiden oder bewundern soll. Jedenfalls schaffen es Haßelmann und ihre Co-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge, sich als politische Unschuld von Berlin zu inszenieren. Sie geben sich wie Zuschauer, die auf der Tribüne mit Entsetzen zusehen mussten, wie plötzlich Nationalkonservative, Völkische und Rechtsextremisten die zweitstärkste Fraktion unter der Reichstagskuppel stellen. Der Glaube der Grünen, Deutschland könne im Alleingang das Weltklima retten, korrespondiert auffällig mit der Überzeugung, man habe mit dem Aufstieg der AfD absolut nichts zu tun. Moralaposteln steht solches Auftreten frei. Politische Glaubwürdigkeit sieht anders aus.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 16. Mai 2025)


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