27.10.2019 | Deutschlandfunk

Grundgesetz schützt nicht vor Widerworten

Dissens belebt Diskussionen – kompliziert wird es allerdings, wenn sich Meinungsgegner gegenseitig mundtot machen wollen. Wer zu dieser Methode greift, ist diskursiv überfordert – und hat mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit ein Problem.

Von Arno Orzessek

(…)

Bei Bernd Lucke haben sich linke Aktivisten ganz buchstäblich im Mundtot-Machen hervorgetan: Sie haben den Mitbegründer der AfD per akustischer Übermacht daran gehindert, seine Vorlesung in Ökonomie zu halten – aber bestenfalls konfuse Argumente dafür geliefert.

Wenn nun aber Aktivisten den Zugang zur Lesung von Thomas de Maizière in Göttingen blockieren – könnte man wenigstens das als freizügige Ausübung des Demonstrationsrechts rechtfertigen? Sagen wir: möglicherweise ja. Doch ob so oder so: Die Forderung, missliebige Diskurse auszuhalten, ist eine demokratische Minimal-Forderung.

Wer stattdessen das Mundtot-Machen zur Methode erhebt, gibt zu erkennen, dass er diskursiv überfordert ist – und ein Problem mit dem Grundrecht Meinungsfreiheit hat. Deshalb muss man die drei Vorfälle nicht gleich zum „Staatsversagen“ hochjazzen – wie es der Publizist Hugo Müller-Vogg im Focus getan hat.

Ein liberaler Rechtsstaat kann nie flächendeckend verhindern, dass die Grenzen der Liberalität ausgetestet oder überschritten werden – und es steht den Betroffenen frei, vor Gericht zu ziehen.?Irritierend am Verhalten linksradikaler Mundtot-Macher bleibt aber, dass sie keinen Blick für die Konsequenzen haben.

Denn wenn sie den Rechten und deren Sympathisanten gute Gründe dafür liefern, sich selbst für die Verteidiger der Meinungsfreiheit zu halten, ist das der sprichwörtliche Schuss ins eigene Knie.

(Quelle: Deutschlandfunk, 27. Oktober 2019)