04.03.2023

Wagenknechts neue Partei kann die politische Landschaft verändern

Eine Überraschung ist das nicht mehr: Sahra Wagenknecht, die bekannteste und umstrittenste Politikerin der Linkspartei, wird bei der Bundestagswahl 2025 für diese Partei nicht mehr antreten. Schon vor knapp einer Woche hatte sie die einstige SED als Partei bezeichnet, „der ich noch angehöre“. Das „Noch“ gilt wohl nicht mehr allzu lange.

Von 2025 an will Wagenknecht, wie sie der „Rheinpfalz“ sagte, entweder als Autorin arbeiten „oder es ergibt sich politische etwas Neues“. Das „Neue“ wird wohl nicht bis 2025 auf sich warten lassen. Vieles deutet darauf hin, dass Wagenknecht bei der Europawahl im Mai 2024 mit einer eigenen Liste antreten wird - und damit gegen ihre Noch-Partei.

Pazifismus und „raus aus der Nato" 

An entsprechenden Plänen feilen Wagenknecht und die „Putin-Freunde“ in der Partei bereits seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Diese Gruppe, die mehr als ein halbes Dutzend der 38 Linken-MdBs umfasst, lehnt jede Unterstützung der von Putin überfallenen Ukraine ab. Es soll sofort verhandelt werden - obwohl Putin gar nicht daran denkt, sich an den Verhandlungstisch zu begeben.

Pazifismus und „raus auf der Nato“ wären ein programmatischer Grundpfeiler der Wagenknecht-Partei, eine noch viel großzügigere Sozialpolitik der andere. Im Gegensatz zu vielen anderen in der Linken lehnt Wagenknecht zudem eine Klimapolitik ab, die gerade die kleinen Leute mit zu hohen Kosten belastet.

Für einen Probelauf einer neuen Formation bietet sich die Europawahl schon deshalb an, weil es keine Fünf-Prozent-Klausel gibt. Das Europäische Parlament hat sich zwar für eine 3,5 Prozent-Klausel ausgesprochen. Es ist aber sehr fraglich, ob sich diese bis 2024 in allen Mitgliedsländern durchsetzen läßt.

Zuspruch auch von ganz rechts

Außerdem neigen viele Wähler bei der Europawahl dazu, ihre Stimme unabhängig von möglichen Koalitionsüberlegungen abzugeben. Das hat 2019 selbst Splitterparteien zu einem Sitz verholfen. Beispielsweise reichten „Volt“ damals knapp 250.000 Stimmen für ein Mandat. Zum Vergleich: Wagenknechts Putin-freundliches Friedensmanifest haben mehr als 700.000 Menschen unterschrieben.

In gewisser Weise dient der „Aufstand für den Frieden“, den Wagenknecht zusammen mit der Publizistin Alice Schwarzer ins Leben gerufen hat, der Vorbereitung für eine neue politische Kraft. Schließlich gibt es in Deutschland nicht Wenige, denen mehr oder weniger gleichgültig ist, ob die Ukraine von Putin unterjocht wird oder nicht. Und die niedrige Gaspreise vorziehen, statt einen „Wirtschaftskrieg gegen Russland“ zu fuhren, wie Wagenknecht die Sanktionen gegenüber Russland nennt

Bei AfD-Wählern ist Wagenknecht sehr beliebt

Unter den Unterstützern dieses Kurses befinden sich nicht nur Linke, die traditionell eher pazifistisch eingestellt sind. Wagenknecht erfährt auch sehr viel Zuspruch vom ganz rechten Rand - aus den Reihen der AfD, von Querdenkern, Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern aller Art.

Wie aus einer aktuellen INSA-Umfrage hervorgeht, kommt Wagenknecht ganz links wie ganz rechts fast gleichermaßen gut an. Unter den Anhängern der Linken ist sie mit weitem Abstand die beliebteste Politikerin. Bei den AfD-Wählern und -Sympathisanten liegt sie hinter Alice Weidel auf Platz zwei, noch vor AfD-Chef Tino Chrupalla. So gesehen verkörpert Wagenknecht geradezu die Hufeisentheorie, wonach die politischen Extreme näher beinander liegen als man gemeinhin vermutet.

Mit einer Wagenknecht-Partei würde die politische Landschaft in Deutschland - wieder einmal - umgepflügt. Sie wäre stark genug, um die ohnehin um ihre Existenz kämpfende Linkspartei im Bund unter fünf Prozent zu drücken. Das könnte ebenso in den westlichen Bundesländern der Fall sein. Dabei spielt keine Rolle, ob Wagenknecht & Co selbst stark genug wären, die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen. Ihre zerstörerische Kraft würde ausreichen, die Linke auf das zurückzustufen, was sie bis 2005 war - eine ostdeutsche Regionalpartei für DDR-Nostalgiker.

Auf Gegenkurs zur Linkspartei

Wagenknecht könnte nicht nur die Wähler anziehen, die von der Linken enttäuscht sind, weil diese als Koalitionspartner von SPD und Grünen zwangsläufig zu Kompromissen genötigt ist. Zudem erweckt die Partei den Eindruck, nicht so recht zu wissen, ob ihr Arbeiter in prekären Beschäftigungsverhältnissen und Kleinrentner wichtiger sind als „wokes“ großstädtischer Jungvolk oder nicht.

Die Rechtsaußenpartei AfD müsste ebenfalls Federn lassen. Diejenigen ihrer Wähler, die es vor allem „denen da oben“ zeigen wollen, hätten in der radikalen Linken eine neue Hoffnungsträgerin. Zumal Wagenknecht bei Thema Zuwanderung auf AfD-Linie liegt. Sie ist strikt gegen offene Grenzen und plädiert dafür, gnadenlos abzuschieben, „wer sein Gastrecht missbraucht“. Da schlagen „rechte“ Herzen höher.

Ohne Linkspartei verlören SPD und Grüne einen Partner

Falls es Wagenknecht gelingen sollte, 2025 mit einer eigenen Partei in den Bundestag zurückzukehren und bei Landtagswahlen entsprechende Erfolge zu erzielen, hätten wir eine ganz andere politische Gemengelage. Zunächst einmal hätten SPD und Grüne einen potentiellen Koalitionspartner weniger, wenn die Linke verschwände. Das machte Koalitionsbildungen noch schwieriger und Regierungen instabiler.

Bleibt Wagenknecht Dauergast in Talkshows

Die Wagenknecht-Truppe würde nämlich von den anderen Parteien ebenso wie die AfD als „Schmuddelkind“ behandelt, mit dem man nicht zusammenarbeitet - jedenfalls nicht auf absehbare Zeit. Das schränkte die Möglichkeit für Zweier-Koalitionen weiter ein. Wie schwierig es jedoch Dreier-Koalitionen mit Parteien aus unterschiedlichen Lagern haben, demonstriert im Bund die Ampel Tag für Tag aufs Neue.

Die Linken-Politikerin Wagenknecht wird es in absehbarer Zeit also nicht mehr geben. Für ihre weiteren politischen Pläne wird ganz entscheidend sein, ob die Medien - insbesondere die öffentlich-rechtlichen Anstalten - ihr weiterhin eine Bühne bieten. Wagenknecht hat seit ihrem Rückzug von der Fraktionsspitze im Jahr 2019 innerhalb der eigenen Partei stetig an Einfluss verloren. Dessen ungeachtet wurde und wird sie insbesondere von ARD und ZDF häufiger in Talkshows eingeladen als mancher Partei- oder Fraktionsvorsitzende.

Wenn es dabei bleibt, könnte Wagenknecht weiterhin auf starken medialen Rückenwind bauen. Der könnte ihre Partei weit tragen. Ob eine neue Partei mit rot-braunem Appeal für unsere Demokratie ein Gewinn wäre, steht freilich auf einem anderen Blatt.

(Veröffentlicht auf www.Focus.de am 4. März 2023)


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