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10 Jahre AfD: Ausgerechnet die Grünen profitieren von Gauland, Höcke und Co. am meisten
Die AfD hat die politische Landschaft grundlegend verändert. Keine andere in der Bundesrepublik neu gegründete Partei war in so kurzer Zeit so erfolgreich wie sie. Bei der Bundestagswahl 2013 kam sie aus dem Stand auf 4,8 Prozent. Schon ein Jahr später zog sie mit 7,1 Prozent ins Europaparlament ein, vor der FDP mit 3,4. Heute hat sie im Bund ein stabiles Wählerpotential von 10 Prozent plus und ist in 15 von 16 Landesparlamenten vertreten.
In allen fünf östlichen Bundesländen ist die AfD mit zweistelligen Wahlergebnissen zweitstärkste Fraktion. Insgesamt ist die AfD gemessen an Stimmen und Mandaten stärker als die Freien Demokraten. Die sind nur in zwölf Landtagen vertreten und schnitten bei den letzten Landtagswahlen sogar in acht alten Ländern sowie in Berlin schlechter ab als die AfD.
Die alte Rangordnung gilt nicht mehr
Die AfD ist heute deutlich radikaler als in den Zeiten ihrer Gründung. Wobei gerne vergessen wird, dass auch ihr erster Spitzenmann, der Ökonomie-Professor Bernd Lucke, gegen die „Entartungen von Demokratie und Parlamentarismus“ zu Felde zog. Auch ließ er Anti-Euro-Fighter zu, dass ehemalige NPD-Leute und andere Rechtsradikale die AfD als neue politische Heimat betrachteten.
Von Anfang an schlug die AfD national-konservative Töne an, zunächst bei ihrem Kampf gegen den Euro, von 2015 an dann gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Heute dominieren völkische, ausländerfeindliche und rechtsradikale Parolen. Die Partei bietet sich den vermeintlichen Zukurzgekommenen als Patron im „Kampf gegen die da oben“ an, was in den neuen Ländern bei vielen Wählern ankommt.
Mit dem Aufkommen der AfD wurde die alte parteipolitische Ordnung ausgehebelt. Die beiden großen Lager, das bürgerliche mit CDU/CSU und FDP, und das linke mit SPD und Grünen existieren nicht mehr, seit durch die Westausdehnung der in PDS umbenannten SED (heute: Die Linke) und die AfD aus dem Vier-Parteien-System ein Sechs-Parteien-System wurde. Erst musste – vereinfacht gesagt – Rot-Grün Stimmen an die PDS abgeben, dann Schwarz-Gelb an die Neuen am rechten Rand. Folglich sind die Grünen bei der SPD wie bei der CDU willkommene Koalitionspartner.
Dreier-Bündnisse statt Rot-Grün oder Schwarz-Gelb
Mit dem Auftauchen der AfD gilt die alte Farbenlehre nicht mehr. Nur zwei Bundesländer (Hamburg und Niedersachsen) werden noch von Rot-Grün regiert, kein einziges mehr von Schwarz-Gelb. Lediglich Bayern mit seiner Koalition aus CSU und Freien Wählern fällt noch in die Kategorie „bürgerlich regiert“. Sieben Länder müssen heute von Dreier-Bündnissen regiert werden, weil andere Mehrheiten unter Ausschluss der AfD nicht mehr möglich sind. Die Gewissheit von einst, „große Koalition geht immer“, ist längst widerlegt. In vielen Ländern sind die einstigen Großen für Zweier-Bündnisse zu klein geworden.
Was für eine Veränderung gegenüber dem Jahresbeginn 2013, dem Gründungsjahr der AfD! Damals regierten CDU und FDP noch in fünf Ländern gemeinsam, die Grünen waren erst in sechs Landesregierungen vertreten. Heute regieren die Grünen nicht nur im Bund mit, sie stellen zudem Minister in zwölf Ländern. Die SPD bringt es in den Ländern auf zehn Regierungsbeteiligungen, die CDU nur noch auf acht. Misst man die machtpolitische Bedeutung einer Partei nicht allein an Stimmen und Mandaten, sondern an den von ihr besetzten Ministerien, dann sind die Grünen in Deutschland die zweitstärkste Partei – nach der SPD und vor der CDU/CSU.
Die Grünen hätten am AfD-Geburtstag Grund zum Feiern
Ob die Grünen aus Anlass des 10. Geburtstags der AfD eine Flasche Schampus aufmachen? Wohl kaum. Doch ist nicht zu leugnen, dass sie die Hauptnutznießer der AfD-Erfolge sind. Ihr großer Vorteil: Die mehrheitlich zu den Besserverdienenden zählenden Grünen-Anhänger in städtischen Milieus sind für dumpfe völkische Parolen am wenigsten anfällig. Die unter Angela Merkel sozialdemokratisierte und grün imprägnierte Union hat dagegen nicht nur Funktionäre und Mitglieder an die AfD verloren, sondern auch Wähler. Die SPD hat ebenfalls Wähler nach ganz rechts abgeben müssen, zusätzlich zu denen, die schon als Folge der „Agenda 2010“-Politik zur Linken abgewandert waren.
Die Sozialdemokraten profitieren von der neuen Konstellation ebenfalls, wenngleich nicht annähernd im selben Umfang wie die Öko-Partei. In Sachsen und Thüringen reichten den Genossen 7,7 und 8,2 Prozent, um zusammen mit CDU und Grünen regieren zu können. Die AfD mit ihren 27,5 und 23,4 Prozent machte es möglich. Es mag verrückt klingen, entspricht aber der Wahl-Arithmetik: Dank der AfD kann in Deutschland kaum noch ohne Grüne oder SPD regiert werden.
„Political Correctness“ hat der AfD den Boden bereitet
Die Ironie dabei: Die Grünen als Vorkämpfer einer gnadenlos intoleranten „Political Correctness“ haben durchaus mitgeholfen, den Boden für die AfD zu bereiten. In diesem Land war es auch „vor der AfD“ niemandem verboten, zu sagen, was er denkt. Aber es herrschte und herrscht beim Thema Flüchtlinge und Integration ein „politisch korrektes“ Meinungsklima. Schon das Wort „Asylant“ ist quasi verboten, weil es angeblich negativ besetzt ist. Asylbetrug soll nicht Asylbetrug genannt werden, weil damit alle Asylbewerber diskriminiert würden; dasselbe galt für Ausländerkriminalität.
Aus politischen Gründen wurde und wird in Polizeiberichten die Nationalität von Tätern mit ausländischen Wurzeln systematisch verschwiegen. Auch leugneten und leugnen viele grüne Politiker, dass es Grenzen für die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft gibt. Dort, wo sie mitregieren, tun die Grünen meistens alles, damit möglichst niemand abgeschoben wird – im Widerspruch zur Rechtslage. Den Nutzen aus alldem hat die AfD.
Die AfD hat das Land linker und grüner gemacht
Dass die Grünen beim „Kampf gegen rechts“ an vorderster Front stehen, versteht sich von selbst. Das geschieht oft Seit‘ an Seit‘ mit der Linkspartei, die die AfD regelmäßig als „Nazis“ und „Faschisten“ beschimpft. Das Absurde an dieser Gefechtslage: Die Linke verliert in den neuen Ländern selbst Wähler an die Rechtsaußen-Partei. Dennoch profitiert sie von deren Stärke gleich zweifach – machtpolitisch wie strategisch. Da alle anderen Parteien eine Koalition mit der AfD kategorisch ausschließen, erhöht das die Chancen der Linkspartei, zur Regierungsbildung benötigt zu werden. Folglich behandeln SPD und Grüne die Linke längst wie jede andere demokratische Partei. Schließlich verhilft ihnen die umbenannte SED in vier Ländern und vielen Kommunen zur Macht.
Die Linke kann mit dieser Konstellation sehr zufrieden sein. In Thüringen stellt sie seit 2014 mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten und in Berlin schaffte sie es 2016 zurück in die Landesregierung. In Bremen wurde sie 2019 als Koalitionspartner benötigt, um der abgewählten rot-grünen Koalition das Weiterregieren zu ermöglichen. 2021 zog die SPD in Mecklenburg-Vorpommern die Linke der CDU als Koalitionspartner vor. Generell möchten Grüne und SPD auf keinen Fall auf eine rot-grün-rote Machtperspektive verzichten.
Plötzlich zählen die Linken zu den „Guten“
Auf mittlere Sicht dürfte ein anderer Aspekt der AfD-Existenz für die Linke noch wertvoller sein als der mehrheitstechnische. Da alle anderen Parteien mit der AfD nicht koalieren, SPD und Grüne aber sehr wohl und sehr gerne mit der Linken, wertet das die Linkspartei Schritt für Schritt zu einem ehrenwerten Mitglied im „Club der Guten“ auf. Wenn in der alten Bonner Republik von der „Gemeinsamkeit der Demokraten“ die Rede war, verstand man darunter das informelle Bündnis von Union, Sozialdemokraten und Liberalen gegen alle Parteien und Gruppierungen an den Rändern – am rechten wie am linken. Inzwischen gelingt es der Linken zunehmend, sich in den Kreis der staatstragenden Parteien einzureihen.
Die 18 Parteigründer, die am 6. Februar 2013 die neue Partei in Oberursel bei Frankfurt aus der Taufe hoben, wollten die Politik in einem national-konservativen Sinn verändern. Doch ausgerechnet die AfD und ihre Wähler haben das nach ihrer Ansicht „linksgrün versiffte“ Land noch linker und noch grüner machen. Was für eine Alternative!
(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 6. Februar 2023)
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