16.05.2022

Nach der NRW-Schlappe kann Scholz in Berlin nicht weitermachen wie bisher

So hat sich Olaf Scholz das von ihm ausgerufene „sozialdemokratische Jahrzehnt“ nicht vorgestellt. Ausgerechnet im bevölkerungsreichsten Land Nordrhein-Westfalen fällt die SPD mit weniger als 27 Prozent noch hinter ihr bisher schlechtestes Ergebnis von 2017 zurück. Dieses Tief folgt auf dramatische Verluste vor einer Woche in Schleswig-Holstein. Demgegenüber verblasst der Erfolg im kleinen Saarland, wo die Landtagswahl eher einer Kommunalwahl gleicht.

Das NRW-Debakel ist ein Warnschuss für Scholz

Für den Bundeskanzler ist das NRW-Ergebnis ein Warnschuss, den er nicht auf die leichte Schulter nehmen kann. Scholz hat sich im Wahlkampf an Rhein und Ruhr sehr stark engagiert. Der im Land ziemlich unbekannte Spitzenkandidat Thomas Kutschaty ließ den Kanzler überall plakatieren. Aber diese Strategie war falsch, weil das Ansehen von Scholz bei den Wählern in den fünf Monaten seit Bildung der Ampel-Regierung stark gesunken ist.

Der Zauber des rot-grün-gelben Anfangs ist sehr schnell verflogen. Allein die Grünen befinden sich im Aufwind, weil ihre Themen „in“ sind und ihre Minister Annalena Baerbock sowie Robert Habeck als Schwergewichte in der Koalition wahrgenommen werden. Wenn fast zwei Drittel der nordrhein-westfälischen Wähler der SPD in der Bundesregierung ein „zögerliches und unentschiedenes“ Handeln attestieren, muss sich das in erster Linie Scholz anrechnen lassen.

Lambrecht und Lauterbach als Belastung für die NRW-SPD

Zudem haben die Affären der „Selbstverteidigungsministerin“ Christine Lambrecht und der Zick-Zack-Kurs von Gesundheitsminister Karl Lauterbach in der Corona-Politik der SPD geschadet. Sie dürften manchen SPD-Wähler bewogen haben, lieber zu Hause zu bleiben oder sein Kreuz bei CDU und Grünen zu machen. Das erklärt auch die deutlich gesunkene Wahlbeteiligung.

Bei den Sozialdemokraten klammern sich manche an die Hoffnung, in Düsseldorf unter Umständen doch mit den Grünen und der FDP eine Ampel bilden zu können. Es wäre ein Bündnis der erfolgreichen Grünen mit zwei Wahlverlierern. Die FDP könnte jedoch nur verlieren, wenn sie nach dieser Wahlpleite sich an die Macht klammerte.

Der Zögerer und Zauderer im Kanzleramt

Jedenfalls kann Olaf Scholz in Berlin nicht so weitermachen wie bisher. Ausgerechnet der Politiker, der sich so gerne auf seine Führungsstärke beruft, erweist sich im Kanzleramt als Zögerer und Zauderer. Bei der Impfpflicht machte er vollmundige Ankündigungen, scheute aber voranzugehen – und scheiterte. Gegenüber Russland versuchte er so zu tun, als hätten die Pipeline Nord Stream 2 und Politik nichts mit einander zu tun – und musste sich der Wirklichkeit beugen.

Besonders peinlich war und ist das Scholzsche Verhalten bei Waffenlieferungen an die von Putin überfallene Ukraine. Ohne das Drängen der grünen und liberalen Partner wäre Deutschland heute noch mit Lambrechts 5000 Helmen das Gespött der anderen westlichen Länder.

Inflation trifft vor allem die SPD-Klientel

Scholz hat in Berlin noch mehr Großbaustellen, die ihm ziemlich Kopfzerbrechen bereiten dürften. Die Inflation im Allgemeinen und die explodierenden Energiepreise im Besonderen treffen vor allem die Bezieher kleiner Einkommen und damit auch die SPD-Klientel. Hinzu kommt die Angst in der Bevölkerung wie in der Wirtschaft, Putin könnte den Gashahn zudrehen – mit schlimmen Folgen für Wirtschaft und Bevölkerung.

Bekanntlich war Scholz in seinem vorpolitischen Leben Rechtsanwalt. Als Kanzler handelt er eher wie ein Notar: Er beurkundet, was beurkundet werden muss. Die Führung, die man angeblich bei ihm bestellen kann, hat der Merkel-Nachfolger bisher eher in homöopathischen Dosen geliefert. Dazu passt ein Kommunikationsstil, der sich durch viele Worthülsen und wenig konkrete Aussagen auszeichnet.

Schon nach fünf Monaten Ampel steht die FDP als großer Verlierer da

Nach diesem Wahlergebnis wird das Regieren für Scholz noch schwerer. Die Grünen werden innerhalb der Ampel noch selbstbewusster auftreten. Die Freien Demokraten hingegen stehen nach fünf Monaten Ampel als die großen Verlierer da: im Saarland an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, in Schleswig-Holstein nahezu halbiert, in Nordrhein-Westfalen von fast 13 auf knapp 6 Prozent abgestürzt. Die vom Parteichef Christian Lindner in der Ampel gepriesene „Zäsur in der politischen Kultur“ wird von der eigenen Basis wohl eher als Zäsur bei den guten Wahlergebnissen gesehen. Da kommt keine Freude auf.

Die Freien Demokraten müssen sich ebenfalls neu aufstellen. Nach drei Wahlen ist – unabhängig von landesspezifischen Besonderheiten – unübersehbar, dass die eigene Klientel mit der Ampel fremdelt. Die FDP an der Seite von zwei linken Parteien, das ist nicht nach dem Geschmack der eigenen Wähler. Auch kommt die Politik des Bundesfinanzministers, formal an der Schuldenbremse festzuhalten und zugleich die Verschuldung über Nebenhaushalte in ungeahnte Höhen zu treiben, bei FDP-Wählern nicht gut an. Unter solider Finanzpolitik verstehen diese etwas anderes.

Scholz' Parallelen - ausgerechnet zu Gerhard Schröder

Politik ist ein schnelllebiges Geschäft, die Wähler sind beweglicher denn je. In gewisser Weise ähnelt die Lage von Scholz der von Gerhard Schröder im Frühjahr 1999. Nach dem strahlenden Wahlsieg im September 1998 musste sie SPD bei Landtagswahlen herbe Verluste hinnehmen. Gleichwohl erholte sich Rot-Grün davon wieder. Allerdings hat Scholz es schwerer als damals Schröder: Der hatte nur einen Koalitionspartner, die Grünen, und der profitierte nicht von der zeitweiligen Schwäche der SPD. Scholz hingegen muss jetzt mit vor Kraft strotzenden Grünen und den am Abgrund balancierenden Freien Demokraten zurechtkommen. Wenn er das schaffen will, muss er seinen Regierungsstil ändern – und mit dem Führen anfangen.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 15. Mai 2022)


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