13.07.2021

Grüne verzichten plakativ auf ihre Kanzlerkandidatin

Ist Annalena Baerbock noch die Kanzlerkandidatin der Grünen? Auf den zahlreichen Plakaten, mit denen die Partei jetzt zu werben beginnt, ist ihre Spitzenfrau zwar zu sehen: mal allein, mal zusammen mit dem zweiten Spitzenkandidaten Robert Habeck. Doch das K-Wort fehlt. Keine „Kanzlerkandidatin“ nirgendwo, kein plakativer Appell „Baerbock muss Kanzlerin werden“, keine kühne Prognose „Klimakanzlerin Baerbock.“

So richtig begründen kann Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer und oberster Wahlkampfmanager, das nicht, als er die Werbekampagne vorstellt. Die Frage nach dem fehlenden Hinweis auf das Kanzleramt, versucht er zu umgehen. Die Partei werbe mit einem „starken Duo“ um Stimmen, antwortet er ausweichend. Erst gegen Ende des Wahlkampfes werde man „personell zuspitzen“. Also wird das magische K-Wort dann doch noch auf Plakaten und in Videospots zu sehen sein? Das geht aus Kellners verschwurbelten Antworten nicht eindeutig hervor. „Das entscheiden wir gegen Ende,“ sagt er und lässt damit alles offen. Offenbar auch einen Wahlkampfendspurt, in dem die Kanzlerkandidatin nicht als Kanzlerkandidatin hervorgehoben wird.

Stimmen sammeln zum Regieren, nicht mehr für den Einzug ins Kanzleramt?

Wer hätte das noch vor ein paar Wochen gedacht? Damals, als die Grünen mit 28 Prozent in den Umfragen zehn Punkte höher lagen als heute. Als der mediale Begleitchor die „Die Frau für alle Fälle“ (Der Spiegel) zur Heilsbringerin hochjubelte. Als nur noch offen schien, ob eine Bundeskanzlerin Baerbock die Richtlinien einer grün-schwarzen oder grün-rot-gelben Regierung bestimmen werde. Vergangen, vergessen, vorüber? Kellner jedenfalls nennt das Kanzleramt nicht als den großen Preis. Die Grünen wollten “Stimmen sammeln für eine Regierungsverantwortung“, formuliert er bescheiden. Heißt übersetzt: Platz zwei wäre auch ganz schön. Dabei könnte die Lage für die Grünen, folgt man Kellners Analyse, kaum besser sein. Er konstatiert im Land „eine hohe Bereitschaft für Veränderung, für echten Klimaschutz“. „Unser Land kann viel, wenn man es lässt,“ heißt es folgerichtig auf einem Großplakat. Kellner nennt das „die Antwort auf 16 Jahre Union.“ Wobei zu fragen wäre, warum all die ach so veränderungsbereiten Wähler immer wieder die CDU/CSU zur stärksten Kraft gemacht haben, wenn die doch angeblich für Stillstand steht?

In der Grünen-Kampagne dominiert selbstverständlich das Klimathema. Aber natürlich spielen Kinder, Digitalisierung, Europa oder Diversität ebenfalls eine Rolle. Erstmals versuchen die Grünen die „Generation 60plus“ gezielt anzusprechen, unter anderem mit einem „Enkelflyer“. Die Rebellen von einst sind eben älter geworden – und ihre frühen Anhänger mit ihnen.

Baerbock und „ohne Krise“?

Kein Parteimanager legt 76 Tage vor der Wahl schon alle Karten auf den Tisch, auch nicht Kellner. Mit den Slogans und Motiven, die die Grünen jetzt präsentieren, hätten sie auch schon vor vier Jahren in die Schlacht ziehen können, als sie noch nicht vorgaben, das Kanzleramt erobern zu wollen. Doch dieses Ziel zu verkünden, erscheint ihnen nach all den Wirrungen um Lebenslauf, Nebeneinkünfte, Plagiate und Stipendien ihrer Spitzenfrau offenbar nicht mehr angemessen.

Gleichwohl: Das Baerbock-Plakat mit dem Slogan „Wirtschaft und Klima ohne Krise“ wird laut Kellner von der Parteibasis am häufigsten bestellt. Nun ja: „Ohne Krise“ im Zusammenhang mit Annalena Baerbock ist eine mutige Aussage.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 13. Juli 2021)


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