07.06.2021

Eine wichtige Etappe

Selbstverständlich war das „nur“ eine Landtagswahl. Aber selbstverständlich war das Ergebnis von Sachsen-Anhalt nicht frei von bundespolitischen Einflüssen, so wie das auch bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz der Fall war.

Dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl haben die Wähler in diesem kleinen Bundesland mit ihrer Stimmabgabe den Parteien einige Lektionen erteilt. Die Wahlstrategen in den Berliner Parteizentralen täten gut daran, diese nicht als Signale aus einem kleinen östlichen Bundesland abzutun.

Lektion 1: Die CDU steht für solide, unspektakuläre Politik.

Natürlich ist das Wahlergebnis auch ein persönlicher Triumph für Ministerpräsident Reiner Haseloff. Seine 37,1 Prozent sind das beste CDU-Ergebnis bei den letzten 15 Landtagswahlen. Selbst die CSU erreichte vor drei Jahren mit 37,2 Prozent kaum mehr. Daneben wirken die CDU-Verbände in Ländern wie Baden-Württemberg (24,1) und Rheinland-Pfalz (27,7) wie arme Verwandte,

Haseloff ist kein Volkstribun, eher ein pragmatischer Macher. Er hat im Grunde das ausgespielt, was die CDU in 73 Jahren Bundesrepublik zur erfolgreichsten Partei hat werden lassen – solides, unspektakuläres Regieren. Und er hat sich von der Politik Angela Merkels abgesetzt, wenn er das für notwendig hielt. Das war jetzt bei der Bundesnotbremse ebenso der Fall wie vor fünf Jahren in der Flüchtlingspiolitik. Das ländlich geprägte Bundesland ist nicht repräsentativ für die Bundesrepublik. Doch in einem dürften sich die Sachsen-Anhaltiner nicht von den anderen Deutschen unterscheiden: Sie wollen ordentlich regiert, aber nicht ständig politisiert, beleht und missioniert werden. Das dürfte auch der Kanzlerkandidatur von Armin Laschet Auftrieb geben.

Lektion 2: Nicht alle Ostdeutschen sind „diktatursozialisiert“.

Die AfD hat die CDU nicht überflügeln können. Umfragen, wonach die CDU und die Rechtsradikalen Kopf-an-Kopf liegen, dürften viele Wähler nachdenklich gemacht haben. Wenn die Gefahr droht, dass die AfD zur stärksten Partei wird, stärken hinreichend viele Menschen die Partei des jeweiligen Ministerpräsidenten. Insofern folgten die Wähler am Sonntag dem Beispiel der Thüringer, Brandenburger und Sachsen. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, der CDU-Politiker Marco Wanderwitz, mag ja recht haben: Viele Ostdeutsche fremdeln mit unserer Demokratie, sind für sie sogar verloren. Aber eine große Zahl überwindet, wenn es darauf ankommt, doch ihre von vom SED-Regime geprägte politische Sozialisation, ist in der Demokratie angekommen.

Lektion 3: Es grünt nicht mehr so grün.

Die Grünen haben es im Osten schwerer als im Westen, schneiden in ländlichen Regionen nicht so gut ab wie in städtischen. Dessen ungeachtet haben sie ihrem Ruf als Umfragen-Champions einmal mehr Ehre gemacht. Ihre 5,2 Prozent (plus 0,7 Punkte) sind, gemessen am medialen Hype um ihren angeblich unaufhaltsamen Siegeszug, mehr als ein herber Rückschlag. Als Regierungspartei hinter der bisher außerparlamentarischen FDP – für eine „Kanzler*innenpartei“ ist das ein Desaster.

Ihre Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock erinnert nach manchem verbalen Flop, der Offenbarung eklatanter Wissenslücken und der Korrektur ihres sehr geschönten Lebenslaufs an den einstigen sozialdemokratischen „Gottkanzler“ Martin Schulz. Dessen Abstieg begann nach der ersten Landtagswahl nach seiner Nominierung: im Frühjahr 2017 im kleinen Saarland.

Lektion 4: Die FDP ist wieder da.

Den Freien Demokraten bescherten die Wähler eine Steilvorlage für den 26. September: Rückkehr in den Landtag, stärker als die Grünen und durchaus in Sichtweite zur SPD. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Liberalen in den neuen Ländern nicht auf ein ausreichend großes Reservoir an potentiellen, mittelständischen FDP-Wählern bauen können.

Der ultimative Erfolg wäre es für die FDP, wenn sie es in Magdeburg sogar in die neue Regierung schafften, zusammen mit CDU und SPD (Deutschland-Koalition) oder mit CDU und Grünen (Jamaika). Mit der CDU zu regieren könnte ihre Position bei bürgerlichen Wählern verbessern, die befürchten, jede Stimme für die FDP bei der Bundestagswahl führe geradewegs in Ampel-Koalition – und die CDU/CSU mithin in die Opposition. Allerdings wird sich der Wahlsieger Haseloff bei der Wahl seiner Koalitionspartner von landespolitischen Überlegungen leiten lassen, nicht von bundespolitischen.

Lektion 5: Good bye, Volkspartei SPD.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz inszeniert sich als Anti-Corona-Held, der angeblich im Alleingang das Land aus der Pandemie herausführt – als Impfstoffbeschaffer, als Patron der Kurzarbeiter, als Retter von großen wie kleinen Unternehmen. Dem Kanzlerkandidaten Scholz nutzt das alles wenig. In Sachsen-Anhalt ist die einstige Volkspartei SPD bereits im vierten Bundesland (nach Bayern, Thüringen und Sachsen) unter die 10-Prozent-Grenze gerutscht. Im viel größeren Baden-Württemberg schnitt sie im März mit 11 Prozent kaum besser ab. Die 8,4 Prozent vom Sonntag bedeuten gegenüber den schwachen 10,6 Prozent von 2016 ein Verlust von 20 Prozent.

Scholz genießt als Finanzpolitiker durchaus Respekt. Aber seine SPD scheint aus der Sicht von immer mehr Wählern kaum noch benötigt zu werden. Wer grüner als die Grünen und linker als die Linke sein will, macht sich überflüssig. Die beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind auf Gender-Trip und versuchen, in linksgrünen Milieus zu punkten. Bei den eher verzweifelten Bemühungen von Scholz, zu den Grünen, zur CDU und zur AfD abgewanderte SPD-Wähler zurückzugewinnen, sind sie keine Hilfe.

Lektion 6: Die AfD ist da, um zu bleiben.

Die AfD ist ein zerstrittener, „gäriger Haufen“ (Alexander Gauland). Teile werden – zu Recht – vom Verfassungsschutz beobachtet. Vertreter dieser Partei fallen immer wieder durch üble antisemitische und rassistische Sprüche auf. Das alles stört die nicht unbeträchtliche Zahl von Wutbürgern, die die AfD als Vehikel für ihren Protest „gegen die da oben“, gegen „das System“, gegen alle Übel dieser Welt nutzen. Dass jede Stimme für die AfD im Grunde eine verlorene Stimme ist, weil niemand mit diesen „Schmuddelkindern“ koalieren will, stört diese Wutwähler nicht.

Ungeachtet ihrer Verluste in Sachsen-Anhalt wie auch schon in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg: Die AfD ist und bleibt in allen Landtagen vertreten und wird abermals in den Bundestag einziehen. Das gehört zum Erbe der Ära Merkel: Die CDU hat mit ihrem Modernisierungskurs „rechts von der Union“ viel Raum für eine neue Partei gelassen. Die AfD hat diese Einladung angenommen – und sich dabei zunehmend radikalisiert.

Lektion 7: Die Linke hat als Rächer der Enterbten ausgedient.

Die Linke alias PDS alias SED war zwei Jahrzehnte lang das Sammelbecken der DDR-Nostalgiker und all derer, die sich als Verlierer der Einheit fühlten. Mit Wahlergebnissen von 20 Prozent und mehr hat sie in allen ostdeutschen Ländern mit Ausnahme Sachsens schon mitregiert, stellt in Thüringen sogar den Ministerpräsidenten.

Doch ihren Ruf als Anwalt der kleinen Leute, als Kümmererpartei, hat sie eingebüsst. Ihre Versuche, mit dem Ruf nach einer mehr oder weniger unbegrenzten Zuwanderungspolitik und identitätspolitischen Avancen an die Adresse der Grünen-Wähler, hat sie sich von ihrer Kernklientel entfernt und massiv an die neue ostdeutsche Protestpartei AfD verloren. Ihr Absturz von 16,3 auf 11,0 Prozent entspricht einem Verlust von 33 Prozent ihrer Wähler. Bei der Bundestagswahl ist die Linke der 5 Prozent-Hürde näher als ihrem Traum von Grün-Rot-Rot.

In 111 Tagen geht’s ums Ganze

Ja, die Abstimmung am Sonntag war „nur“ eine Landtagswahl. Aber sie hat die Ausgangslage für den 26. September verändert – zugunsten von CDU/CSU und FDP. Die unionsinterne Debatte, ob Markus Söder nicht doch der bessere Kanzlerkandidat gewesen wäre, dürfte allmählich verstummen. Aber dass gegen die CDU/CSU keine Regierung gebildet werden kann, ist keineswegs ausgemacht. Denn Laschet fehlt das, was Haseloff hat: der Amtsbonus. Eine Ampel aus Grünen, Sozialdemokraten und Freien Demokraten ist deshalb unverändert im Bereich des Möglichen. Für den „Großen Preis Kanzleramt“ würden die Grünen sogar mit manchen Zugeständnissen locken, die die FDP schwach werden lassen könnte. Dieser Wahlsonntag war eine wichtige Etappe auf dem Weg zum 26. September – aber eben nur eine Etappe.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 7. Juni 2021)


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