19.02.2021

Ausgerechnet die Linke profitiert von der AfD

Für die Partei „Die Linke“ gehört der „Antifaschismus“ zur programmatischen DNA. Das war schon so, als sie noch SED hieß und in der DDR nahezu jede abweichende Meinung unter Faschismusverdacht stellte. Heute sind Linke-Politiker stets in der ersten Reihe, wenn irgendwo „gegen rechts“ gekämpft wird. Keine andere Partei attackiert die AfD so aggressiv wie die Linke, bezeichnet sie regelmäßig als „Nazis“ und „Faschisten“.

Das Paradoxe an dieser Gefechtslage: Dieselbe Linke profitiert von der Stärke der Rechtsaußen-Partei gleich zweifach – machtpolitisch wie strategisch. Da alle anderen Parteien eine Koalition mit der AfD kategorisch ausschließen, erhöht das die Chancen der Linkspartei, zur Regierungsbildung benötigt zu werden. Folglich behandeln SPD und Grüne die Linke längst wie jede andere „etablierte“ Partei. Schließlich verhilft ihnen die umbenannte SED – der AfD sei Dank – in Ländern und Kommunen zur Macht.

Neben dem „Schmuddelkind AfD“ wirkt die Linke staatstragend

Die Linke kann mit dieser Konstellation sehr zufrieden sein. In Thüringen stellt sie seit 2014 mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten und in Berlin schaffte sie es 2016 zurück in die Landesregierung. In Bremen wurde sie 2019 als Koalitionspartner benötigt, um der abgewählten rot-grünen Koalition das Weiterregieren zu ermöglichen. Zudem gibt es im Bund eine grün-rot-rote Machtperspektive jenseits der CDU/CSU.

Auf mittlere Sicht dürfte ein anderer Aspekt der AfD-Existenz für die Linke noch wichtiger und wertvoller sein als der mehrheitstechnische. Weil alle anderen Parteien mit den „Schmuddelkindern“ von der AfD nicht „spielen“ wollen, SPD und Grüne aber sehr wohl und sehr gerne mit der Linken, wertet das die Linkspartei Schritt für Schritt zu einem ehrenwerten Mitglied im „Club der Guten“ auf. Wenn in der alten Bonner Republik von der „Gemeinsamkeit der Demokraten“ die Rede war, verstand man darunter das informelle Bündnis von Union, Sozialdemokraten und Liberalen gegen alle Parteien und Gruppierungen an den Rändern – am rechten wie am linken. Inzwischen gelingt es der Linken zunehmend, sich einzureihen in den Kreis der staatstragenden Parteien.

Liberale und Grüne nehmen Linke mit ins Boot

Im Bundestag ist die CDU/CSU-Fraktion mit ihrer Haltung, grundsätzlich keine inhaltlichen Initiativen gemeinsam mit der Linken zu ergreifen, inzwischen isoliert. Die FDP schließt im Gegensatz zu SPD und Grünen eine Koalition mit der Linken kategorisch aus, nimmt es mit der Abgrenzung im parlamentarischen Alltag dagegen nicht mehr so genau. Weil die Freien Demokraten zusammen mit den Grünen nicht die notwendige Zahl von Abgeordneten aufbringen, um einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, nahmen die Liberalen die Linke mit ins Boot, um die Maut-Affäre aufzuarbeiten. Da heiligt der Zweck schon mal die Mittel. FDP, Grüne und Linke haben auch schon gemeinsam Gesetzesentwürfe eingebracht, beispielweise zur Ablösung der staatlichen Leistungen an die Kirchen oder zur Reform des Wahlrechts. Alle drei Parteien sind sich jedoch einig, dass eine gemeinsame Initiative aller vier oppositionellen Fraktionen, also einschließlich der AfD, nicht in Frage kommt.

Ob die CDU/CSU an ihrer scharfen Abgrenzung gegenüber dem rechten und dem linken Rand festhalten wird? Da sind Zweifel angebracht. So kam es kurz vor Weihnachten zu einem von fünf Abgeordneten aus allen Fraktionen links von der AfD initiierten Appell, mehr griechische Flüchtlinge aufzunehmen. Unter den knapp 250 Unterzeichnern befanden sich auch 11 Unionsabgeordnete aus der zweiten und dritten Reihe. Mit dabei: der frühere Fraktionsvorsitzende Volker Kauder, der in seiner früheren Funktion besonders deutlich auf einer „Äquidistanz“ gegenüber ganz Linken wie ganz Rechten bestanden hatte.

Selbst in der CDU wird die Linke hoffähig

In der politischen Praxis steht die Union „Honeckers Erben“ nicht mehr so ablehnend gegenüber wie einst. Das gilt insbesondere auf der kommunalen Ebene. In den neuen Bundesländern, aber auch im Saarland, kommt es in Städten, Gemeinden und Kreisen häufig zu Kooperationen und förmlichen Koalitionen unter Einschluss der Linken. Hier rechtfertigt die Existenz der AfD die Aufwertung der Linken zum Kooperationspartner.

Von dieser Situation profitiert die Linke am auffälligsten in Thüringen. Weil Linke und AfD im Landtag zusammen über die absolute Mehrheit verfügen, blieb der CDU nach dem Fiasko mit dem Kurzzeit-Ministerpräsidenten Kemmerich (FDP) kaum eine andere Wahl, als die rot-rot-grüne Minderheitsregierung indirekt zu stützen. Was die CDU in Erfurt praktiziert, darf natürlich nicht Tolerierung genannt werden. Das wird mit dem neuen Begriff „Stabilisierungsmechanismus“ umschrieben, läuft aber auf dasselbe hinaus. Zur Erinnerung: Als die Linke in Sachsen-Anhalt noch unter der Bezeichnung PDS zwischen 1994 und 2002 eine von der SPD geführte Minderheitsregierung tolerierte, lief die CDU dagegen Sturm und startete ihre Rote-Socken-Kampagne.

Ein Vierteljahrhundert später sieht die ostdeutsche Parteienwelt ganz anders aus. Vor der Landtagswahl 2019 dachte der damalige CDU-Vorsitzende in Brandenburg, Ingo Senftleben, über eine mögliche Koalition mit der Linken nach. Auch sein thüringischer Kollege Mike Mohring schloss nach der von der CDU verlorenen Wahl eine Kooperation mit Ramelow und den Linken nicht aus. Und der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther, einer der „Modernisierer“ in der CDU, riet den Parteifreunden in Erfurt, eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung zu tolerieren: Erst das Land, dann die Partei. Die Thüringer CDU-Abgeordneten wählten indes erst einmal Kemmerich zum Kurzzeit-Regierungschef und hatten – zunächst – kein Problem damit, dass der FDP-Mann seine Wahl letztlich den Stimmen der AfD verdankte. Erst als FDP-Chef Lindner seinen Parteifreund Kemmerich zum Rücktritt zwang, endete diese für CDU wie FDP peinliche „Regierungszeit“.

Unter dem Strich stärkt die AfD die Linke

Die Existenz der AfD hat für die Linke auch negative Seiten. Schließlich verliert sie Wähler an die Konkurrenz von Rechtsaußen, vor allem in Ostdeutschland. Wer es „denen da oben“ mal richtig zeigen will, macht häufig sein Kreuz bei der AfD. Denn die Linke zählt in den Augen vieler Wähler längst zum politischen Establishment, was im Osten durchaus zutrifft. Dort ist sie in allen Landtagen vertreten, ist in Thüringen wie in Berlin Regierungspartei und hat schon in Brandenburg und Sachsen-Anhalt mitregiert. Hinzu kommt ihre starke kommunale Verankerung mit vielen Bürgermeistern und Landräten. Dennoch: Mag die Linke sich in ihrem Parteiprogramm „gelebten Antifaschismus“ bescheinigen, mag sie bei jedem „Kampf gegen rechts“ in der vordersten Front stehen, mag sie die AfD noch so hart attackieren: Letztlich sind die ganz Linken zu einem gewissen Grad Profiteure der ganz Rechten – machttechnisch wie strategisch.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 18. Februar 2021)


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