02.11.2020

Politik in Corona-Zeiten ist ein Höllenjob

Diese Pandemie ist eine der größten Herausforderung, mit der jemals eine Regierung der Bundesrepublik zu tun hatte – gesundheitspolitisch, ökonomisch, politisch. Die Größe der Aufgaben, vor denen die Politik steht, wird deutlich, weil es hier um dreierlei geht – die Rettung von Menschenleben, die Verhinderung eines wirtschaftlichen Absturzes und um das gesellschaftliche Miteinander.

Seit dem ersten staatlich verordneten Stillstand hat die Bevölkerung die von den Regierungen in Bund und Land beschlossen Maßnahmen mit großer Mehrheit als notwendig betrachtet und unterstützt. Jetzt, bei Beginn des zweiten Lockdowns, der Geschäfte und Schulen nicht berührt, sondern fast alle Freizeitaktivitäten (Kultur, Sport, Gastronomie. Tourismus) unterbinden soll, wachsen Unmut und Kritik.

Nun kann man in der Tat einzelne Eingriffe in die Grundrechte als unangemessen betrachten. Schon das von den Gerichten kassierte Beherbergungsverbot war nicht der Weisheit letzter Schluss. Gleichwohl ist das jetzt um sich greifende, nicht zuletzt medial befeuerte Politiker-Bashing unangebracht, ja ausgesprochen unfair. Denn abgesehen von den Nachkriegsjahren im damals völlig zerstörten Deutschland, war es niemals so schwer zu regieren wie heute. Und das hat viele Gründe.

Politik muss handeln: Die Bürger erwarten zu Recht, dass die politisch Verantwortlichen etwas gegen die weitere Ausbreitung der Pandemie tun. Das ist aber leichter gefordert, als getan. Denn noch nie standen Regierungen und Parlamente vor einer für sie bisher unbekannten Problematik dieser Dimension, in der sie auf keinerlei Erfahrungen in vergleichbaren Situationen zurückgreifen können. Für die Bewältigung der Corona-Krise gibt es keine Blaupause.

Auf Experten ist nur bedingt Verlass: Die Politiker werden von Wissenschaftlern beraten, die allesamt über keine praktischen Erfahrungen mit einer Pandemie dieses Ausmaßes verfügen. Folglich haben all die Virologen und Epidemiologen ihre Meinung im Verlauf der Corona-Krise bereits mehrfach geändert. Zugleich widersprechen sie sich untereinander, zum Teil heftig. Für jedes Tun und Unterlassen der Politiker gibt es mindestens einen Kronzeugen aus der Wissenschaft. Jeder, der an einzelnen Maßnahmen Kritik übt, findet ebenfalls schnell einen Wissenschaftler, der ihm beipflichtet. Wenn schon die medizinischen Fachleute sich nicht einig sind und keine „Wunderwaffe“ gegen Corona anbieten können, fällt die Entscheidungsfindung den Politikern besonders schwer.

Die Medizin soll wirken, aber auch schmecken: Je länger die Krise anhält, umso lästiger empfinden die Bürger die ihnen auferlegten Einschränkungen. Sie vermissen das gewohnte „normale Leben“, fürchten zugleich steigende Infektionszahlen. Da das Virus bekanntlich nicht mit der Post kommt, sondern fast ausschließlich durch Kontakte von Menschen zu Menschen übertragen wird, ist die Reduzierung der Kontakte das wichtigste Mittel, um die Möglichkeiten einer Ansteckung zu reduzieren. Das ist bitter. Doch nichts mögen Bürger und Wähler weniger als bittere Wahrheiten.

Kein Politiker will Bürger gängeln: Den Politikern wird teilweise unterstellt, sie nutzten die aktuelle Situation, um die bürgerlichen Freiheiten zu beschränken. Solche Vorwürfe kommen ausgerechnet von Rechtsaußen, wo man ansonsten von einem hart durchgreifenden Staat phantasiert. Was für ein Unsinn. Kein Politiker, der wiedergewählt werden will, kann daran interessiert sein, die Freiheiten der Bürger nur zum Spaß einzuschränken. Andersherum wird ein Schuh daraus: Wer das hierzulande ernsthaft versuchte, brauchte bei der nächsten Wahl gar nicht mehr anzutreten. Aber Einschränkungen sind zur Pandemiebekämpfung alternativlos.

Auf die Vernunft der Bürger ist nur bedingt Verlass: Zweifellos verhalten sich die meisten Bürger vernünftig, nur eben nicht alle. Eine Minderheit hält sich – wie auch zu normalen Zeiten – nicht an die Spielregeln, in diesem Fall die AHA-Empfelung. Nicht jeder Gastronom und Hotelier achten sorgfältig darauf, dass das, was auf dem Plakat am Eingang angemahnt wird, von den Gästen befolgt wird. Wenn in allen Lebensbereichen sorgfältig darauf geachtet worden wäre, Distanz zu halten, Masken und tragen und auf die eigene Hygiene zu achten, wären die Infektionszahlen mit Sicherheit niedriger. Man mag das beklagen, aber es ist leider so: Die Anständigen, die Regelbefolger, sind jetzt wegen der Regelbrecher die Dummen.

Die Politik kann nur verlieren: Falls es gelingt, die Zahl der Infektionen in absehbarer Zeit deutlich zu senken, wird mit Sicherheit der Vorwurf laut, die Politik hätte die Zügel viel früher anziehen müssen. Dann ist schnell die Rede von einer angeblich halbherzigen Pandemiebekämpfung, von verpassten Chancen. Im Fall einer gegenteiligen Entwicklung ist die Schuldfrage ebenfalls schnell geklärt: Die Maßnahmen waren nicht die richtigen, waren nicht strikt genug, ihre Einhaltung wurde nicht ausreichend überwacht, Verstöße nicht hart genug geahndet. Schuld sind immer die Politiker.

Fazit: Politik ist in Zeiten wie diesen ein Himmelsfahrtkommando: Die Opposition hat es in dieser Krise relativ einfach. Sie kann fordern und kritisieren, muss aber keine Verantwortung übernehmen. Die Regierenden in Bund und Ländern haben dagegen einen Höllenjob. Machen sie Grundlegendes falsch, gefährden sie Gesundheit und Leben unzähliger Menschen. Sind sie bei ihren wirtschaftlichen Hilfen für Arbeitnehmer, Selbständige und Unternehmer zu großzügig, belasten sie die Jungen mit immensen Schulden. Erreichen sie die Menschen nicht mehr, gefährden sie das gedeihliche Miteinander in unserer Gesellschaft und beschädigen im schlimmsten Fall unsere Demokratie. Bei alldem müssten sie auch noch damit leben, an dieser Herausforderung gescheitert zu sein.

Ein persönliches Geständnis zum Schluss: Ich möchte in Zeiten von Corona kein Politiker sein. Um keinen Preis.

Veröffentlicht auf www.cicero.de am 2. November 2011


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