24.05.2020

EU-Milliarden-Hilfe: Solidarität ist keine Einbahnstraße

Der EU-Wiederaufbaufonds soll den Aufschwung nach der Corona-Rezession finanzieren. Von dem 500 Milliarden Euro-Plan, vom französischen Präsidenten der deutschen Kanzlerin abgetrotzt, entfallen auf die Bundesrepublik 27 Prozent oder 135 Milliarden Euro. Dabei wird es nicht bleiben. Denn nach dem bevorstehenden Brexit muss Deutschland 30 Prozent der EU-Ausgaben stemmen; das wären dann 150 Milliarden Euro. Das setzt voraus, dass alle EU-Mitgliedsstaaten sich auch an der späteren Tilgung beteiligen. Anderenfalls wird es für uns noch teurer.

Der deutsche Beitrag zum angestrebten wirtschaftlichen Aufschwung wird von der Bundesregierung als Akt gut begründeter Solidarität dargestellt. Was insofern richtig ist, als die deutschen Exporteure nur dort Abnehmer für ihre Produkte und Dienstleistungen finden können, wo die Wirtschaft halbwegs läuft. Unsere Solidarität wird somit als Exportförderung verkauft. Das drängt freilich die Frage auf, wofür die vom neuen EU-Fonds verteilten Gelder in den einzelnen Ländern verwendet werden – ob für Konsumausgaben oder für Investitionen mit Perspektive. Und welche Unternehmen aus welchen Ländern welche Aufträge bekommen. Es wäre ein Treppenwitz, wenn etwa chinesische Staatskonzerne davon profitierten.

Seien wir optimistisch und unterstellen, dass die Mittel aus dem Fonds in den begünstigten Ländern – das wären in erster Linie Italien und Spanien, aber auch Frankreich – vernünftig und nachhaltig investiert werden. Nehmen wir ferner an, dass sich das in den Auftragsbüchern deutscher Unternehmen deutlich niederschlägt. Dann bedeutete diese Operation gleichwohl eine erhebliche Belastung der deutschen Steuerzahler vom Jahr 2027 an, wenn die aufgenommenen Schulden über den EU-Haushalt wieder getilgt werden sollen.

Reiche Italiener, armer italienischen Staat

Bei aller Solidarität mit den von der Pandemie besonders betroffenen Italienern und Spaniern muss der Hinweis erlaubt sein, dass manche Länder sich heute leichter täten, wenn sie in der Vergangenheit solider gewirtschaftet hätten. Spanien kann immerhin für sich in Anspruch nehmen, unter großen Anstrengungen nach der Euro-Krise wirtschaftlich wieder einigermaßen Tritt gefasst zu haben. Italien dagegen hat die vergangenen, sehr guten Jahre ungenutzt verstreichen lassen und nichts für die Sanierung seiner maroden Staatsfinanzen getan. Gleichzeitig sind die Privatvermögen in Italien auf neue Höchststände gestiegen. Nach Berechnungen der Credit Suisse entspricht das italienische Privatvermögen dem 5,5-Fachen des Bruttoinlandsprodukts. In Deutschland macht das Privatvermögen dagegen nur das 3,8-Fache der Wirtschaftsleistung aus. Das hat auch damit zu tun, dass keine italienische Regierung ernsthaft versucht, mit der gleichen Akribie wie der deutsche Fiskus Steuern einzutreiben. Das Ergebnis ist grotesk: Die Deutschen sind – gemessen am Pro-Kopf-Vermögen – ärmer als die Italiener, der deutsche Staat ist dagegen ungleich finanzkräftiger als der italienische. Mit der Konsequenz, dass die „armen“ deutschen Steuerzahler den „armen“ italienischen Staat alimentieren sollen. Während die wohlhabenden Italiener ihr Finanzvermögen bevorzugt außerhalb der eigenen Grenzen anlegen.

Im Wiederaufbaufonds sehen Emanuel Macron und Angela Merkel den „Grundstein für ein neues Europa“. Ihr neues Europa wird ebenso wie das bisherige auf zwischenstaatliche Solidarität angewiesen sein. Nur darf Solidarität nicht als einseitige Angelegenheit betrachtet werden, als Engagement der wirtschaftlich Stärkeren zugunsten der Schwächeren. Richtig verstandene Solidarität schließt entsprechende Anstrengungen derer ein, die Hilfe erwarten. Anderenfalls stellt sich bei denen, die helfen sollen, Unmut ein, der schnell in Unwillen münden kann.

Ein Grundeinkommen für alle Spanier?

Die EU wird in Bedrängnis geratene Länder unterstützen, ganz gleich, welchen Namen das entsprechende Finanzierungsinstrument tragen wird. Der deutsche Steuerzahler wird, falls sich in anderen Ländern nichts ändert, soziale Leistungen indirekt mitfinanzieren, die sich Deutschland selbst nicht leistet. So will Spanien ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen, das es bei uns nicht gibt. Italien lässt sich Milliarden an Steuereinnahmen entgehen und hält am Rentenalter mit 65 Jahren (Frauen: 60) fest, während der deutsche Fiskus gnadenlos zugreift und die Deutschen sich auf die Rente mit 67 zubewegen. Frankreich wiederum gönnt seinen Arbeitnehmern mit 10,14 Euro den zweithöchsten Mindestlohn in der EU, den viele Unternehmen aber nur dank staatlicher Zuschüsse auszahlen können. Deutsche Geringverdiener müssen sich dagegen mit 9,35 Euro begnügen. Die Zustimmung zu seiner dringend notwendigen Rentenreform will sich Macron überdies mit einer Mindestrente von 1000 Euro im Monat erkaufen. Da kann unsere geplante Grundrente nicht mithalten.

Über eines lässt sich nicht streiten: Der gemeinsame Markt ist nicht zum Nachteil Deutschlands. Im Gegenzug war die Bundesrepublik häufig der Zahlmeister Europas. Die deutschen Steuerzahler haben diesen „Deal“ bisher überwiegend akzeptiert. Angesichts der Corona-bedingten wirtschaftlichen Verwerfungen, drohender Insolvenzen und gefährdeter Geschäftsmodelle könnte die Bereitschaft zur Solidarität mit anderen Ländern aber sinken – vor allem dann, falls es bei den Begünstigten an „solidarischen Einschränkungen“ mangelt. Europa kann ohne Solidarität nicht funktionieren. Doch auch die Bürger der Geberländer haben Anspruch auf solidarisches Verhalten der Empfänger.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 23. Mai 2020.)


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