24.10.2018

Politik paradox: Je stärker die AfD, umso besser für die Grünen

Die hessischen Wähler könnten am Sonntag mit ihrem Stimmzettel die Verhältnisse zum Tanzen bringen. Das könnte die CDU den Ministerpräsidenten kosten, Angela Merkel und Andrea Nahles ihre Parteiämter, und die Große Koalition in Berlin dürfte dann sieben Monate nach ihrer Bildung am Ende sein. Bei allen Unwägbarkeiten stehen in Hessen zwei große Sieger jedoch bereits fest: Die Grünen und die AfD.

Der von den meisten Medien kräftig beförderte Grünen-Hype könnte der Partei in Wiesbaden ein Ergebnis bescheren, das noch über die 17,5 Prozent von Bayern hinausgeht. Die AfD wiederum wird bei der 16. Landtagswahl hintereinander locker die 5-Prozent-Hürde nehmen, die FDP und die Linke hinter sich lassen und ihre Position als drittstärkste Partei ausbauen. Sie wird dann erreicht haben, was Grüne, Linke und FDP bisher nicht gelungen ist, nämlich als einzige Partei neben Union und SPD in allen Landesparlamenten vertreten zu sein.

Den Grünen wie der AfD dient die jeweils andere Partei als Feindbild. Doch beim Kampf um Stimmen tun sich die beiden nicht weh. Ihre jeweilige Anhängerschaft ist zu verschieden, als dass es zu nennenswerten Wählerwanderungen zwischen Grün und Blau käme. Bei der „Sonntagsfrage“ mit Blick auf die Bundestagswahl liegen die Grünen in den neuesten Umfragen bei 20 Prozent, während die AfD zwischen 16 bis 18 Prozent schwankt. Diese demoskopischen Höchststände der beiden Antipoden hängen eng miteinander zusammen. Beide profitieren von der Schwäche der Volksparteien CDU/CSU und SPD, beide stehen für die vor allem durch die Flüchtlingspolitik hervorgerufene Polarisierung der Gesellschaft. Die Grünen bedienen die Wählerschichten, die unverändert der Multikuliti-Idylle anhängen und der Meinung von Katrin Göring Eckardt sind, uns wären „Menschen geschenkt“ worden. Die AfD bietet dagegen denen eine neue politische Heimat, denen nicht nur die Willkommenspolitik von 2015 ein Graus war und ist, sondern die am liebsten das Grundrecht auf Asyl abschaffen und den Schlachtruf „Ausländer raus“ sofort umsetzen würden.

Die Ironie dabei: Die Grünen als Vorkämpfer einer gnadenlos intoleranten „Political Correctness“ haben durchaus mitgeholfen, den Boden für die AfD zu bereiten. In diesem Land war es auch „vor der AfD“ niemandem verboten, zu sagen, was er denkt. Aber es herrschte beim Thema Flüchtlinge und Integration doch ein „politisch korrektes“ Meinungsklima. Schon das Wort „Asylant“ war quasi verboten, weil es angeblich negativ besetzt ist. Asylbetrug sollte nicht Asylbetrug genannt werden, weil damit alle Asylbewerber diskriminiert würden; dasselbe galt für Ausländerkriminalität.

Aus politischen Gründen wurde und wird in Polizeiberichten die Nationalität von Tätern mit ausländischen Wurzeln gern verschwiegen. Und nach Kölner Vorfällen in der Silvesternacht 2015/16 versuchten überregionale Zeitungen ebenso wie öffentlich-rechtliche Anstalten tagelang totzuschweigen, was nicht ins schöne Bild von der uns bereichernden multikulturellen Gesellschaft passte. Auch leugneten und leugnen viele grüne Politiker, dass es Grenzen für die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft gibt. Dort, wo sie mitregieren, haben die Grünen meistens alles getan, dass möglichst niemand abgeschoben wurde – im Widerspruch zur Rechtslage.

Der Auslöser für den Aufstieg der AfD war 2015 zweifellos die von der Kanzlerin eingeleitete und von allen Parteien – außer der AfD – mitgetragene Politik, Flüchtlinge unkontrolliert und unbegrenzt ins Land zu lassen. Aber die Grünen standen zudem in vorderster Front, jede Kritik an dieser Politik als ewiggestrig, als rechts oder gar rassistisch abzutun. Der „Willkommensrausch“ hatte einen grünen Anstrich. Er teilte das Land in Gute und Böse, wobei die Befürworter offener, unkontrollierter Grenzen natürlich die Guten waren. Das hat viele Menschen, die sich von den Bundestagsparteien nicht mehr vertreten und nicht mehr verstanden fühlten, in die Arme der AfD getrieben.

Die Grünen dienen der AfD als willkommenes Feindbild, wenn sie von der „links-grün versifften“ Republik sprechen. Umgekehrt beflügelt die AfD die Grünen. Sie bieten ihnen Gelegenheit, sich als entschiedene „antifaschistische Kämpfer“ zu positionieren. Wer es nicht nur mit einem „gewöhnlichen“ parteipolitischen Wettbewerber zu tun hat, sondern gleichsam Demokratie und Freiheit verteidigt, dem wird gerne nachgesehen, dass sein politisches Programm auf vielen Feldern sehr gefühlig, aber wenig konkret ist. Wer zudem tapfer gegen „Nazis“ ankämpft, dem wird schnell verziehen, wenn er bei der Rettung von Bäumen nach dem Motto „legal, illegal, scheißegal“ handelt. Wer eben die richtige – linke – Gesinnung hat, der darf rechtlich schon mal über die Stränge schlagen.

Die AfD wird am kommenden Sonntag in den hessischen Landtag einziehen. Offen ist, ob mit den zuletzt prognostizierten 14 Prozent oder nur mit „bayerischen“ zehn Prozent. Aus Sicht der hessischen Grünen ist das nicht unwichtig. Je besser die AfD abschneidet, desto schwächer sind CDU und SPD – und umso stärker stehen die Grünen da. Politik paradox: Ohne eine starke AfD wäre Rot-Rot-Grün in Thüringen und Berlin nicht möglich gewesen. Mit ihrem Wahlerfolg 2016 in Baden-Württemberg hat die AfD den Boden dafür bereitet, dass die Grünen zum ersten Mal in einem Bundesland stärkste Partei wurden. Gut möglich, dass die AfD in Hessen den Weg frei macht für Grün-Rot-Rot. Wie sagte doch einst Günter Beckstein: „In der Politik ist alles möglich – und selbst das Gegenteil davon.“

Veröffentlicht auf www.tichyseinblick.de am 24. Oktober 2018.


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