09.10.2018

Der Wähler soll die Amtszeit der Kanzler bestimmen – und sonst keiner

Alles schon mal dagewesen: Als Helmut Kohl sich 1994 mit hauchdünner Mehrheit zum letzten Mal die Kanzlerschaft sicherte, wurde alsbald die Forderung laut, so lange sollte niemand an der Spitze der Regierung stehen dürfen. Jetzt, im 13. Jahr der Kanzlerschaft von Angela Merkel, ist es nicht anders. Selbst die eigene Parteijugend setzte sich am Wochenende über die Bedenken der CDU-Vorsitzenden hinweg und forderte eine gesetzliche Begrenzung der Kanzlerschaft auf drei Legislaturperioden. Nach zwölf Jahren wäre dann Schluss – und Angela Merkel bereits seit einem Jahr im Ruhestand.

Die Junge Union schwamm mit ihrem Vorstoß auf einer allgemeinen Welle mit: In den meisten Medien wird schon seit einiger Zeit eine Amtszeit-Begrenzung gefordert. Auch FDP-Chef Christian Linder packt sein „Merkel-muss-weg-Mantra“ in die Forderung nach zeitlicher Machtbegrenzung. Die Begründungen sind immer die gleichen: Nach spätestens acht Jahren in dem kräftezehrenden Amt seien die Inhaber ebenso erschöpft wie ihre Bereitschaft, Neues zu wagen. Und immer wieder wird auf zwei abschreckende Beispiele verwiesen: Kohl und Merkel.

Nun ist nicht von der Hand zu weisen, dass alle Kanzler im Laufe der Jahre von den Strapazen des Amtes gezeichnet waren. Aber nicht nur das. Wer lange regiert, schaltet bald in den „business as usual“-Modus. Amtsinhaber und Umfeld bestärken sich gegenseitig darin, dass sie nur am Bewährten festhalten müssten und alles werde gut. „Keine Experimente“ wird zum inoffiziellen Arbeitsmotto. Das lässt sich übrigens auch in der Wirtschaft und in Chefredaktionen beobachten: Mit der Länge der Amtsdauer sinken Kreativität und Risikobereitschaft.

So weit, so richtig. Nur wird bei den Klagen über „ewige Kanzler“ gern vergessen, dass kein Adenauer, kein Kohl und keine Merkel ihre Amtszeiten einfach selbst verlängert haben. Sie alle wurden von ihrer Partei wieder und wieder als Spitzenkandidat nominiert, was eine ausreichend große Zahl von Wählern jedes Mal honoriert hat – wenn auch mit höchst unterschiedlichen Prozentsätzen. Anschließend haben die Unions-Abgeordneten zusammen mit den roten oder gelben Koalitionspartnern den Kanzler oder die Kanzlerin wiedergewählt. So etwas nennt man Demokratie.

Nun gibt es ausländische Beispiele für begrenzte Amtszeiten. Der französische Präsident kann nur zwei Mal fünf Jahre regieren, der amerikanische sogar nur zwei Mal vier. Aber lässt sich daraus ableiten, dass Frankreich und die Vereinigten Staaten deshalb besser regiert würden, dass dort die Regierungen innovativer und wagemutiger wären? Im Ernst wird das niemand behaupten. Denn ob mit oder ohne „Term Limits“: Was der Mann im Elysee oder im Weißen Haus erreicht oder nicht erreicht, hängt in hohem Maße auch vom jeweiligen Parlament und der Stimmung in der Bevölkerung ab. Wenn die Abgeordneten aus Furcht vor dem Wähler nicht mitziehen, kann ein Präsident auch schon in der ersten Wahlperiode ganz schnell sehr alt aussehen.

Die FDP und die Junge Union als Vorkämpfer für eine staatlich limitierte Kanzlerschaft? Das entbehrt nicht der Ironie. Gerade Christian Lindner und seine Freien Demokraten, die sonst immer „weniger Staat“ fordern, rufen hier nach dem Gesetzgeber, weil sie den Parteien und den Wählern nicht viel zutrauen. Die Junge Union wiederum rühmt sich, im letzten Wahlkampf besonders aktiv für eine vierte Amtszeit Merkels gekämpft zu haben – obwohl überlanges Regieren nicht gut sein soll. Das verstehe wer will.

Übrigens: Wer auf die amerikanischen „Term Limits“ hinweist, sollte auch erwähnen, dass Barack Obama ohne Amtszeitbegrenzung noch immer im Weißen Haus säße. Jetzt sitzt dort Donald Trump. Noch Fragen?

Veröffentlicht auf www.focus.de am 9. Oktober 2018.


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