21.07.2017

„Zukunftsplan“ versus „Im Himmel ist Jahrmarkt“

Angela Marquardt: Ich habe gelesen, dass Sie Martin Schulz erneut vorwerfen, dass er sich um die Koalitionsfrage drückt. Sie verlangen eine falsche Reihenfolge. Ganz einfach: Martin Schulz sagt erst einmal, was er will. Man kann doch nur auf der Grundlage eines inhaltlichen Angebotes, das wir und Martin Schulz jetzt unterbreiten, nach der Wahl schauen, mit wem das geht. Ich muss nicht alle Punkte zitieren, aber Martin Schulz sagt konkret, wo die Reise hingeht. Der 10 Punkte umfassende Zukunftsplan zeigt, wir wollen ab dem 25. September eine Gesellschaft gestalten, in der es beispielsweise gute Arbeit, ein respektvolles Miteinander, Zukunftsinvestitionen und eine Bildungsoffensive gibt. Deutschland hat die Wahl.

Hugo Müller-Vogg: Nach Ihrer Logik müssten CDU/CSU und FDP ebenfalls bis nach der Wahl warten, ehe sie sich entscheiden, ob mit der AfD eine Koalition möglich ist oder nicht. Das kann aber nicht Ihr Ernst sein. Nein, wer Europa-Gegner und Putin-Versteher für nicht koalitionsfähig hält, soll das vor der Wahl sagen. Alles andere ist bewusste Täuschung der Wähler.

Angela Marquardt: Sie sollen die Partei Die Linke nicht immer mit der rechtsextremen AfD gleichsetzen. Und dass man nicht mit Nazis koaliert, halte ich für selbstverständlich. Aber Ihr Widerspruch springt mir jetzt sicher gleich entgegen... (Lacht). Im Ernst: Ich bin der festen Überzeugung, dass es eine echte politische Alternative geben muss, die nicht nur labert, sondern anpackt. Und das nicht nur mit Blick auf die wachsende Schere zwischen Arm und Reich, den "Rechtsruck", die internationalen Entwicklungen und die Diktatoren in anderen Ländern, sondern vor allen Dingen mit Blick auf jeden einzelnen Menschen, der in Deutschland lebt. Wir werden die zentralen Fragen anpacken. Nicht mit Nazis, aber mit Demokratinnen und Demokraten, die wie wir eine solidarische Gesellschaft gestalten wollen.

Hugo Müller-Vogg: Ich weiß, ich weiß: Den linken Rand beurteilen Sie mir viel milder als den rechten. Geschenkt. Was Ihre potentielle Koalitionspartnerin Sahra Wagenknecht aber über Flüchtlinge oder über Putins Annektionspolitik sagt, wäre in der AfD jederzeit mehrheitsfähig. Aber warum sagt Martin Schulz denn nicht klar und deutlich: Ja, ich schließe eine Koalition mit der Linken nicht aus? Warum versucht er es mit Tarnen, Täuschen und Tricksen? Wenn er nur mit Hilfe von Ex-SED- und Ex-KBW-Kadern Kanzler werden kann, dann wird er‘s tun. Punkt. Aber um auf den Zukunftsplan von Martin Schulz zurückzukommen. Er hätte eigentlich die Überschrift „Im Himmel ist Jahrmarkt“ wählen sollen, statt den alten CDU-Slogan von 2003 „Deutschland kann mehr“ zu verwenden. Denn er verspricht fast allen alles – aber über die Kosten sagt er nichts.

Angela Marquardt: Sie wissen, dass wir auch ein Finanz- und Steuerkonzept vorgelegt haben. Dieses gefällt Ihnen sicher nicht. Aber allen links von der CDU immer zu unterstellen, nicht mit Geld umgehen zu können, ist kein Argument sondern ein durchsichtiges Abschreckungsmanöver. Auch wir wissen, dass die Dinge finanziert werden müssen. Mit einer gerechten Einkommenssteuer und mit unserem Finanzkonzept schaffen wir unter anderem die Grundlagen für mehr Investitionen. Und zu Sahra Wagenknecht: Immer noch koalieren Parteien auf der Grundlage von Koalitionsverträgen. Und es ist klar, was mit der SPD geht und was nicht. Mit den AfD-kompatiblen Positionen von Sahra muss sich Die Linke selbst auseinandersetzen. Das ist nicht Aufgabe der SPD.

Hugo Müller-Vogg: Sie täuschen sich: Das Argument, die SPD könne nicht mit Geld umgehen, können Sie nicht von mir nicht gehört haben. Und das Steuerkonzept von Schulz ist nicht so sehr auf Umverteilung angelegt wie das von Peer Steinbrück aus dem Jahre 2013. Da scheint, der linke Flügel der SPD dazugelernt zu haben. Aber die Finanzierung aller Schulz’schen Verheißungen steht auf sehr wackeligen Beinen. Wissen Sie, wieviel die Reform der Erbschaftssteuer bringen soll? Wissen Sie, wie teuer es wird, wenn Kitas plötzlich für alle kostenlos sein sollen und die gesamte Berufsausbildung bis zum Meisterbrief ebenso? Und erst das Chancenkonto: Bis zu 20.000 Euro für 40 Millionen Arbeitnehmer! Haben Sie das mal durchgerechnet? Daneben nehmen sich die 20 Milliarden jährlich für die Rente und die 30 Milliarden in vier Jahren für Investitionen geradezu bescheiden aus. In dem „Zukunftsplan“ steckt durchaus Vernünftiges drin. Aber durchgerechnet ist er nicht. Oder habe ich das etwa überlesen? Dann können Sie mir sicher helfen.

Angela Marquardt: Ja, ich bleibe auch dabei, mehr Umverteilung ist der Schlüssel. Da müssen wir dann auch den Mut haben, die Starken zur Kasse zu bitten und die Schwächeren zu entlasten. Es ist eine ständige Aufgabe, Einnahmen und Ausgaben im Blick zu haben. Eine gute Einnahmesituation wie jetzt, kann sich jederzeit verändern. Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen gilt es genauso weiter voranzutreiben wie das Ziel einer großen Steuerreform. Um Vertrauen zu gewinnen, bedarf es selbstverständlich einer verlässlichen Finanzpolitik. Aber ich finde es gut, dass Sie unsere Ziele noch mal so schön komprimiert aufgezählt haben. (Lacht.)

Hugo Müller-Vogg: Keine konkrete Antwort ist auch eine Antwort. Halten wir also fest: Niemand weiß, wie teuer der Schulz’sche Geschenkekorb die Steuerzahler kommen würde; auch Sie nicht. Das ist besonders wichtig vor dem Hintergrund Ihres völlig richtigen Hinweises, dass niemand weiß, wie lange die aktuell gute Finanzlage bei niedrigen Zinsen anhalten wird. Umso größer ist das Risiko, ungedeckte Wechsel auf die Zukunft auszustellen. Wissen Sie was? Wenn Sie verraten, auf welchen Bäumen Geld wächst, helfe ich gerne beim Pflücken … ?

Veröffentlicht auf www.cicero.de vom 21. Juli 2017.


» Artikel kommentieren

Kommentare



Drucken
Müller-Vogg am Mikrofon

Presse

01. November 2023 | Hauptstadt – Das Briefing

Ampel-Krise

» mehr

Buchtipp

konservativ?! Miniaturen aus Kultur, Politik und Wirtschaft

konservativ?! Miniaturen aus Kultur, Politik und Wirtschaft

» mehr

Biografie

Dr. Hugo Müller Vogg

Hugo-Müller-Vogg

» mehr