24.08.2016

Gilt künftig „One man, two votes“?

Die multikulturelle Gesellschaft ohne verbindliches Wertsystem mit einem toleranten Nebeneinander von Menschen unterschiedlicher Abstammung, Religion und Kultur war bestenfalls einmal ein idealistischer Traum. Für die meisten Grünen und nicht wenige linke Sozialdemokraten war „MultiKulti“ jedoch das Instrument, endlich den ungeliebten, ja verhassten deutschen Nationalstaat zu überwinden.

Dieser Traum ist ausgeträumt. Multikulti ist krachend gescheitert. Geblieben ist als nostalgischer Restposten die Forderung nach der doppelten Staatsbürgerschaft. Wer sich partout nicht entscheiden will, welches Land „sein Land“ ist, wer sich mit jedem seiner beiden Pässe die Rosinen herauspicken will, die jeder Staat zu bieten hat, der soll zwei Pässe haben dürfen. Der Ausweis als Gebrauchsgegenstand –Zweithandy, Zweitauto, Zweitpass.

CDU und CSU haben inzwischen bemerkt, dass die als „Morgengabe“ an die SPD mitbeschlossene Ausweitung der doppelten Staatsbürgerschaft ein Fehler war. Die SPD dagegen will an der seit 2014 geltenden Regelung festhalten, wonach in Deutschland geborene Kinder von Ausländern neben der Staatsangehörigkeit der Eltern auch die deutsche dauerhaft behalten dürfen. Die Grünen sind ohnehin dafür, mehr oder weniger jedem einen deutschen Pass zu geben, der einen haben will.

Der Streit um den Doppelpass dreht sich in erster Linie um die Frage, was die Integration in Deutschland erleichtern könnte: das eindeutige Bekenntnis zu diesem Land samt Verzicht auf eine andere Staatsbürgerschaft oder das Nebeneinander von zwei Staatsangehörigkeiten. Eigentlich sagt einem der gesunde Menschenverstand, dass man – zum Beispiel – nicht Recep Erdogan und Joachim Gauck zugleich als „seinen“ Präsidenten ansehen kann. Aber Menschenverstand und Ideologie sind halt nicht zwei Seiten derselben Medaille.

Ein nicht unwichtiger Aspekt der doppelten Staatsbürgerschaft wird dagegen weitgehend ausgeklammert: Zwei Pässe bedeuten in der Regel auch zwei Stimmen – jeweils eine bei allen Wahlen in der alten wie in der neuen Heimat. Das ist keine demokratie-theoretische Fingerübung, sondern bereits Realität. EU-Bürger können in der Regel in beiden Ländern abstimmen – ganz legal. Das urdemokratische Prinzip „one man, one vote“ wird für privilegierte Doppelstaatler ausgehebelt. Für sie gilt: One man, two votes. Zwei Pässe sind höchst undemokratisch. Warum darf ein hier lebender Deutsch-Italiener dank seiner zwei Pässe das italienische Parlament ebenso mitwählen wie den deutschen Bundestag? Dieser Wähler kann für die italienische Partei stimmen, die dort für ein Ende der Sparmaßnahmen eintritt, und bei uns für eine der Parteien, die den südeuropäischen Schlendrian gerne finanzieren. Was privilegiert diesen Deutsch-Italiener eigentlich, in Europa mehr politischen Einfluss zu haben als ein „einfacher“ Deutscher mit nur einem Pass und nur einer Stimme?

Es gibt allerdings eine Ausnahme: Bei der Wahl zum Europaparlament muss ein EU-Doppelstaatler sich entscheiden, in welchem Land er seine Stimme abgibt. Dass selbst ein hochmögender journalistischer Weltenerklärer wie „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo dies bei der Europawahl 2014 nicht wusste, zwei Mal seine Stimme abgab und das auch noch stolz im Fernsehen verkündete, ist eine hübsche Anekdote. Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Wahlfälschung wurde gegen eine finanzielle Auflage eingestellt. Doppel-Wähler di Lorenzo gilt deshalb also nicht als vorbestraft.

Das doppelte Wahlrecht für noch mehr Doppel-Staatsbürger hätte, wenn man es zu Ende denkt, einschneidende Folgen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes besaßen 4,3 Millionen Menschen im Jahr 2011 neben der deutschen noch eine weitere Staatsangehörigkeit – bei bisher restriktiver Doppelpass-Praxis. Wenn wir aber den Zweitpass nach rot-grünen Vorstellungen mehr oder weniger allen Menschen mit „Migrationshintergrund“ anbieten, können daraus schnell zehn oder 15 Millionen Doppelstaatler werden. Ganz gleich, ob diese sich dann als Griechen oder Türken „in Deutschland“ oder als griechisch- oder türkischstämmige Deutsche fühlen, wären sie die neue privilegierte Wähler-Oberschicht: mit zwei Stimmen statt nur der einen für „Nur“-Deutsche.

Das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht wurde 1918 zu Recht als zutiefst undemokratisch abgeschafft, weil es denen mit mehr Geld mehr politischen Einfluss garantierte. Die Doppelpass-Fraktion will jetzt ein neues Zwei-Klassen-Wahlrecht einführen – mit mehr politischem Einfluss für alle, die dank ihrer Abstammung über zwei Pässe verfügen.

Veröffentlicht in „Tichys Einblick“ am 24. August 2016


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