13.11.2015

Warum Merkel nicht hinwirft

Angela Merkel lernte ich 1991 auf einer USA-Reise mit Bundeskanzler Helmut Kohl kennen: eine zurückhaltende, blitzgescheite junge Politikerin. Dass sie 2005 Kanzlerin würde – dagegen hätte ich damals Haus und Hof verwettet.

Seitdem bin ich ihr immer wieder begegnet: bei Interviews, in Hintergrundgesprächen, bei der Arbeit an ihrer Gesprächs-Biografie. Natürlich hat sie sich verändert. „Kohls Mädchen“ wurde zur „mächtigsten Frau der Welt“ (Forbes-Magazin). Aber in einem ist sie sich gleich geblieben: Sie ist hartnäckig, kann stur sein. Widerstand reizt sie eher.

1991 habe ich also mich getäuscht. Jetzt könnten sich die vielen Journalisten täuschen, die wegen der Flüchtlingskrise das Ende ihrer Kanzlerschaft heraufziehen sehen oder es herbeischreiben möchten. Schon vor Wochen wurde spekuliert, die „Flüchtlings-Kanzlerin“ werde bereits die Neujahrsansprache nicht mehr halten. Oder sie werde bei Gelegenheit in ein anderes Amt fliehen – nach Brüssel oder zu den Vereinten Nationen. Dort würde sie zweifellos „ihre Frau“ stehen. Aber sie wird es kaum tun.

Mit „Wir schaffen das“ und „Dann ist das nicht mein Land“ hat die Kanzlerin meines Erachtens schwere Fehler gemacht. Das hat selbst in der eigenen Partei mehr Unruhe ausgelöst, als ihr lieb sein kann. Dennoch wird sie, so wie ich sie kenne, nicht aufgeben. Sondern genau das Gegenteil tun: kämpfen. Wer es in der westdeutschen Männerpartei CDU nach ganz oben geschafft hat, wer sich von dem vor Kraft strotzenden Gerhard Schröder nicht beeindrucken ließ, der steht auch diese Krise durch.

Das Etikett „Physikerin der Macht“ passt unverändert zu ihr. Das war in der Finanz-, der Euro und der Ukraine-Krise zu spüren. Merkel interessieren Lösungen, sie ist verliebt in Gelingen. Parteiprogramme sind ihr nebensächlich, zwischenzeitliche „Dellen“ in den Sympathiekurven auch. 2017 wird sie noch Kanzlerin sein. Wetten dass …?

Erstveröffentlichung: SUPERillu Nr. 47 vom 12. November 2015


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