25.07.2015

Die Wahrheit zu sagen, fällt nicht immer leicht

„Es geht um die Menschen“. Dieser Satz geht Politikern leicht von den Lippen. Stoßen sie jedoch „draußen im Lande“ auf Menschen, die von ihren Beschlüssen negativ betroffen sind, wünscht sich mancher Politiker „die Menschen“ ganz weit weg.

So ging es auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Grundschule in Rostock. Da schilderte ihr Reem, eine 14-jährige Palästinenserin aus dem Libanon, ihr Schicksal: Die Familie von der Abschiebung bedroht, ihr Vater zur Arbeitslosigkeit verdammt, ihre eigene Zukunft ungewiss. Angela Merkel versuchte das Mädchen zu trösten, streichelte es eher hilflos. Das brachte Merkel viel Häme ein. Man könne die Flüchtlingsprobleme nicht wegstreicheln, lautete einer der harmloseren Kommentare.

Aufgeheizt wurde die Stimmung dadurch, dass im Internet zunächst eine gekürzte Fassung des Dialogs zwischen der Kanzlerin und dem Mädchen kursierte. Da wirkte Merkel harscher, als sie in Wirklichkeit war. Das wurde dann für jedermann sichtbar, der sich das Gespräch in voller Länge anschaute. Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass „Originalaufnahmen“ nicht immer das Original zeigen.

Aber zurück zum Kern der Angelegenheit: Hätte sich Merkel anders verhalten können? Mancher Politiker hätte dem Mädchen gesagt, es möge ihm doch seine Adresse aufschreiben, damit er sich persönlich darum kümmern könne. Das aber ist nicht Merkels Stil. Denn sie weiß genau, dass das Kanzleramt gar nicht direkt in das im Fall der Palästinenserin nunmehr seit vier Jahren laufende Anerkennungsverfahren eingreifen darf. Eine Kanzlerin ist nicht allmächtig; auch sie muss sich an die Gesetze halten.

Angela Merkel verhielt sich nichts so, wie Image-Berater ihr das vielleicht nahegelegt hätten. Sie blieb auch gegenüber diesem sympathischen und offenbar gut integrierten Mädchen bei ihrer Haltung, dass Deutschland nicht alle Menschen aufnehmen könne, die gerne bei uns ein neues Leben beginnen würden. Das klang hart, war aber ehrlich. Es war ein politisches Statement, keine politische Show. Bemerkenswert, dass die 14-jährige hinterher viel verständnisvoller reagierte als mancher Politiker: Sie sei froh, "dass die Bundeskanzlerin so ehrlich zu mir war".

Die Begegnung der Kanzlerin mit dem Mädchen hat eines verdeutlicht: Es dauert viel zu lange, bis entschieden ist, wer bleiben darf und wer nicht. Das führt bisweilen zu der grotesken Konsequenz, dass Asylbewerber abgeschoben werden müssen, obwohl sie bestens integriert sind. Wobei im Fall Reems viel dafür spricht, dass sie bleiben darf.

Eines muss man auch festgehalten werden: Wenn wir nicht jeden aufnehmen, der bei uns leben will, wird es immer wieder zu menschlich bewegenden Abschiebungen kommen. Und einem Asylbewerber persönlich zu sagen, dass er gehen muss, ist immer schwer: für die zuständigen Beamten wie für Politiker.

Erstveröffentlichung: SUPERillu Nr. 31/2015 vom 23. Juli 2015


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