05.05.2015

„Griechische Reparationen-Forderungen werden so nicht erfüllt“

Mario Dobovisek: 70 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges, 70 Jahre Befreiung von Hitlers Terrorregime - daran erinnern wir diese Woche an jedem Tag. Vor einem Jahr bereits besuchte Bundespräsident Joachim Gauck Griechenland und entschuldigte sich dort für die Nazi-Gräuel der Vergangenheit.

O-Ton Joachfim Gauck: "Das was geschehen ist, war brutales Unrecht. Mit Scham und Schmerz bitte ich im Namen Deutschlands die Familien der Ermordeten um Verzeihung."

Dobovisek: Schon damals sprach Joachim Gauck von einer Wiedergutmachung für Griechenland und wiederholte seine Forderung jetzt am Wochenende in der "Süddeutschen Zeitung". Am Telefon begrüße ich den Publizisten Hugo Müller-Vogg. Er hat Gesprächsbände unter anderem mit der Kanzlerin veröffentlicht. Guten Morgen, Herr Müller-Vogg.

Hugo Müller-Vogg: Guten Morgen, Herr Dobovisek.

Dobovisek: Fast 300 Milliarden Euro verlangt die griechische Regierung im Schuldenstreit von Berlin als Entschädigung für die Gräuel während des Zweiten Weltkrieges und für Zwangskredite. Doch die Frage von Reparationen sei abgeschlossen, wiederholt die Bundesregierung seitdem unmissverständlich. Jetzt spricht Gauck also erneut von den Möglichkeiten einer Wiedergutmachung. Wie sehr hat sich die Kanzlerin wohl darüber geärgert?

Müller-Vogg: Ich glaube nicht, dass sie sehr erfreut war. Allerdings hat der Bundespräsident in dem Interview, das Sie ja bereits erwähnt haben, auch gesagt, er schließt sich der Rechtsauffassung der Bundesregierung an. Das heißt, auch der Präsident ist der Meinung, rechtlich sind wir nicht verpflichtet, etwas zu tun, weil das durch die Zwei-plus-Vier-Verträge alles abgeschlossen ist, aber wir sollten aus moralischen Gründen etwas machen. Und das darf ein Präsident. Er darf solche Forderungen aufstellen. Ob es immer klug ist, ist eine andere Frage, denn wenn ein Präsident zu oft etwas fordert, was dann die Regierung nicht befolgt, dann entpuppt er sich auch als jemand, der dann doch weniger Einfluss hat, als ihm teilweise zugeschrieben wird.

Dobovisek: War es in diesem Falle klug?

Müller-Vogg: Es war insofern ein ganz guter Zeitpunkt, weil die griechische Regierung inzwischen ja davon abgekommen ist, die jetzigen Hilfen gegen den drohenden Staatsbankrott in Griechenland zu verknüpfen mit Reparationsforderungen. Das passt gar nicht. Inzwischen ist die griechische Regierung ja etwa doch auf einer Linie, nachdem man auch Herrn Varoufakis etwas entmachtet hat, dass man mit der Eurogruppe, mit den Euroländern in ein vernünftiges Gespräch eintreten will. Insofern ist dieser Link nicht mehr gegeben.

Auf der anderen Seite hat die Bundesregierung erkennbar keine Neigung, in Bezug auf Griechenland größere Reparationsleistungen zu übernehmen. Insofern gehe ich eigentlich davon aus, dass der Bundespräsident etwas gefordert hat, was so nicht erfüllt wird.

Dobovisek: Es gibt bereits einen deutsch-griechischen Zukunftsfonds. Muss, wenn die moralischen Vorstellungen des Bundespräsidenten sich doch durchsetzen gegen die Rechtsauffassung der Bundesregierung, die Wiedergutmachung für Griechenland darüber hinausgehen?

Müller-Vogg: Na gut, die Frage ist, ob man einen solchen Fonds oder ein Jugendwerk oder etwas macht. Das ist alles sicherlich sinnvoll und nützlich. Nur die Frage ist ja, werden hier fünf Millionen für deutsch-griechische Projekte ausgegeben oder geht es um 300 Milliarden. Ich glaube, das ist ein ganz großer Unterschied. Durchaus möglich, dass wir etwas Symbolisches tun, aber die ganz großen Summen werden da sicher nicht fließen, denn die Bundesregierung weiß sehr genau, wenn wir das gegenüber Griechenland machen, dann werden auch alle anderen Länder, die damals von Deutschland überfallen wurden und wo schreckliche Gräueltaten geschahen im Namen der Deutschen und von Deutschen ausgeübt, auch sagen, wir hatten zwar schon bereits Abkommen, aber ihr habt in Griechenland nachgebessert, dann bessert jetzt bei uns auch mal nach. Dann käme auf uns eine Kostenlawine zu, die gar nicht zu stemmen ist.

"Gauck macht seine Sache sehr gut"

Dobovisek: Zwei Jahre dauert Gaucks Amtszeit noch, doch schon jetzt mehren sich in Regierung wie Opposition die Rufe nach einer weiteren Amtszeit, einer Verlängerung. Gauck scheint also parteiübergreifend zu überzeugen. Ist er ein guter Bundespräsident?

Müller-Vogg: Ich finde, er macht seine Sache sehr gut. Der Historiker Hans-Peter Schwarz hat ja einmal gesagt, der Bundespräsident ist eine Art weltlicher Oberpriester, und der ehemalige Pastor Gauck erfüllt diese Rolle eigentlich geradezu perfekt. Er repräsentiert das Land mit einer Mischung aus Würde und Volksnähe. Da kommt auch das Pastorale durch, das ein bisschen Großväterliche. Er ist ein Mann, der im Gegensatz zu allen seinen Vorgängern vorher nie eine parteipolitische Karriere hatte, zumindest keine nennenswerte, wenn man absieht von seiner kurzen Zeit beim Bündnis 90. Das heißt, er ist auch parteipolitisch nicht einordbar, und er nutzt diese Freiheit und das gefällt der Bevölkerung, die ja es gerne hat, wenn der Präsident den Mächtigen ab und zu mal auf die Finger klopft. Diese Rolle erfüllt er sehr gut. Die Umfragewerte sind auch gut. Insofern spricht eigentlich nichts dagegen, dass man sagt, wenn er noch mal will, denn er wird nicht gewählt.

Dobovisek: Ist seine Volksnähe vielleicht manchmal ein bisschen weit weg von der Regierung?

Müller-Vogg: Ja, das macht er auch ganz bewusst. Das ist ja auch, glaube ich, seine Strategie, sich bewusst auch von der Regierung abzusetzen. Da kommt, glaube ich, auch so ein bisschen der alte Bürgerrechtler durch, der ja in der DDR durchaus gezeigt hat, dass er vor der Obrigkeit nicht kuscht. Ich glaube, er macht sich einen gewissen Spaß daraus, oder hat ein gewisses Vergnügen daran, die Grenzen, die das Amt hat, immer wieder aufs Neue auszutesten.

Dobovisek: Für die Regierung also unbequem, für das Volk volksnah, sagen Sie, ein Gutmensch vielleicht. Manchmal etwas zu viel? Müller-Vogg: Gutmensch würde ich nicht sagen, weil die Gutmenschen, das ist negativ besetzt. Das sind die Leute, die den Himmel auf Erden fordern. Er ist da durchaus Realist und steht mit beiden Beinen auf dem Boden und weiß auch, dass es wirtschaftliche Grenzen gibt. Beispielsweise in der Flüchtlingsfrage sagt er ja nicht einfach mehr Flüchtlinge, sondern er sagt, da muss sich Europa einigen und muss auch auf eine Verteilung der Flüchtlinge drängen. Ein Gutmensch würde sagen, je mehr Flüchtlinge kommen umso besser und Verteilungsfragen sind technische Fragen. Da möchte ich den Präsidenten schon in Schutz nehmen gegen dieses Etikett. Ich glaube, alle Parteien hätten ein großes Interesse daran, dass er noch mal kandidiert, wobei die Entscheidung natürlich bei ihm liegt.

Dobovisek: Gauck zeigt regelmäßig Mitgefühl, Empathie, hört aufmerksam zu. Brauchen wir mehr davon in der Spitzenpolitik?

Müller-Vogg: Nein, wir haben eine Arbeitsteilung. Die Regierung muss regieren, die muss auch Entscheidungen treffen und exekutieren, und der Präsident ist als Mahner und Warner Motivator, auch Versöhner, hat da seine eigene Rolle und die Rolle füllt er aus, und insofern ist er eine gute Besetzung.

Dobovisek: Der Publizist Hugo Müller-Vogg über Bundespräsident Joachim Gauck, seinen Wunsch nach Wiedergutmachung für Griechenland und die Frage einer zweiten Amtszeit. Ich danke Ihnen.

Müller-Vogg: Gerne!

Das Gespräch mit dem Deutschlandfunk wurde am 4. Mai 2015 gesendet


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