15.09.2014

Erst die Partei, dann das Land

Drei Mal haben die ostdeutschen Wähler gesprochen, drei Mal haben sie die größte Regierungspartei bestätigt: In Sachsen und Thüringen die CDU, in Brandenburg die SPD. Drei Mal haben die ostdeutschen Wähler gesprochen, drei Mal haben sie den kleineren Koalitionspartner abgestraft, ja geradezu gedemütigt: In Sachsen die FDP, in Thüringen die SPD, in Brandenburg Die Linke.

Aus Sicht der Berliner GroKo ist das eine einmalige Chance. In allen drei Ländern sind jetzt Große Koalitionen möglich: Schwarz-Rot in Thüringen und Sachsen, Rot-Schwarz in Brandenburg. Das hätte bundespolitisch weitreichende Folgen. Die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD hätte im Bundesrat eine Mehrheit. Das würde das „Durchregieren“ enorm erleichtern.

Handelten die beiden großen Parteien – die große Union und die im Vergleich dazu etwas schmalbrüstige SPD – nach ihrem Sonntagsreden-Motto „Erst das Land, dann die Partei“, müssten Angela Merkel und Sigmar Gabriel jetzt zusammen mit ihren Parteifreunden aus Thüringen, Sachsen und Brandenburg den großen Deutschland-Pakt besiegeln. Wo ein Wille ist, da ist auch eine Kompromiss-Möglichkeit. Aber so wird es nicht kommen. Denn CDU und SPD denken im Augenblick nicht an das Land und noch weniger an den Bundesrat. Sie denken nur an das eine: die nächste Bundestagswahl.

Mit Blick auf 2017 wird die SPD in Brandenburg wohl an Rot-Rot festhalten – trotz des Misstrauensvotums der Wähler gegenüber der Linkspartei. In Thüringen wird sie sich möglicherweise selbst demütigen und als 12 Prozent-Juniorpartner Bodo Ramelow in einer rot-rot-grünen Koalition zum ersten frei gewählten sozialistischen Regierungschef in Deutschland machen. Das wäre ein eindeutiges Signal für Berlin.

Die Grünen sind strategisch in einer guten Position. Für sie wäre Rot-Rot-Grün in Thüringen und Schwarz-Grün in Sachsen die optimale Lösung. Das würde „Realos“ wie „Fundis“ befriedigen – und für die nächste Bundestagswahl alle Optionen offen lassen. Das alte Müntefering-Motto „Opposition ist Mist“ wird längst von vielen Grünen unterschrieben.

Und die CDU? Die ist das Opfer ihrer eigenen Strategie, die lästige FDP los zu werden. Die steht kurz vor dem endgültigen Exitus – und die CDU ohne „geborenen“ Koalitionspartner da. Das Schlimmste ist der CDU am Sonntag freilich erspart geblieben: Die Möglichkeit, durch eine CDU/AfD-Koalition ein rot-rot-grünes Bündnis in Erfurt verhindern zu können. Da wäre bei der thüringischen Union mancher schwach geworden – und die CDU in eine Zerreißprobe geraten.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die AfD ist auf bestem Weg, sich als neue rechtspopulistische Kraft zu etablieren. Dass sie auch viele ehemalige Linke-Wähler für sich gewinnen kann, ist kein Gegenbeweis. Zwischen PDS/Linke und NPD bzw. DVU gab und gibt es einen regen Wähleraustausch. Der klassische Protestwähler unterscheidet nicht zwischen rechts- und links außen – er will es „denen da oben“ einfach zeigen.

Ob das allen Wahlanalysten gefällt oder nicht: Der Wähler macht, was er will. Wie gut, dass 25 Jahre nach dem Mauerfall die Menschen in Ostdeutschland diese Freiheit ebenfalls genießen können. Auch wenn diejenigen, die 1989 gegen die SED aufgestanden sind, sicher nie wieder von Sozialisten regiert werden wollten.

Erstveröffentlichung: www.theeuropean.de vom 15. September 2014


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