06.08.2014

Frühling zwischen Genossen und Bossen?

Das haben schon viele versucht: den Kuchen zu essen und ihn gleichzeitig zu behalten. Gelungen ist das niemandem, was aber SPD-Chef Sigmar Gabriel nicht abschreckt. Er will die Partei des Mindestlohns, der Steuererhöhungen und der Quoten für Unternehmer und Unternehmen attraktiv machen. Sein neuestes Credo: „Die SPD darf sich nicht damit zufrieden geben, für die soziale Seite der Gesellschaft zuständig zu sein.“

Eine Partei mit dem Anspruch, eines Tages wieder mehr als ein Viertel der Wähler für sich einzunehmen, kann sich in der Tat nicht nur als Betriebsrat der Nation fühlen. Wobei Betriebsräte, anders als mancher SPD-Funktionär, schon immer wussten, dass man in Unternehmen, die Gewinn machen, viel mehr für die Beschäftigten herausholen kann, als bei solchen, die ums Überleben kämpfen.

Dass man mit Sozialpolitik allein keine Wahl gewinnen, schon gar nicht ein Land voranbringen kann, hat schon einmal ein Sozialdemokrat gewusst und beherzigt: Gerhard Schröder. Der hat als Kanzler der rot-grünen Koalition gleich zwei Mal das Land in einer Weise verändert, die Unternehmer-Herzen höher schlagen ließ (und die angeblich herzloser „Neoliberaler“ auch): Mit der Steuerreform 2000 und der „Agenda 2010“.

So radikal wie SPD und Grüne hatte zuvor noch nie eine deutsche Regierung die Steuern gesenkt. Zwischen 2001 und 2005 sanken der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent, die Körperschaftssteuer von 40 Prozent (einbehaltene Gewinne) und 30 Prozent (ausgeschüttete Gewinne) auf einheitlich 25 Prozent. Entlastung von 2005 an: jährlich 30 Milliarden Euro.

Die Senkung des Spitzensteuersatzes half der Wirtschaft auf doppelte Weise. Die gut verdienenden Manager profitierten persönlich. Und in den vielen mittelständischen Personengesellschaften erleichterte die verringerte Steuerlast die Investitionen. Besonders gut stellten sich die Aktiengesellschaften und GmbHs: Begünstigt durch Einmal-Effekte stürzte das Körperschaftssteueraufkommen von 23,6 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf null im Jahr 2001 und erreichte erst in den Jahren 2006 und 2007 wieder die Ausgangshöhe vor der Reform. Kein Wunder, dass im Sommer 2001 zwei Drittel der von Allensbach befragten Führungskräfte mit der rot-grünen Wirtschaftspolitik „im Großen und Ganzen zufrieden“ waren.

Als richtige, also wirtschaftsfreundliche Politik empfanden die Unternehmer auch die „Agenda 2010“. Für die Art und Weise, wie Gerhard Schröder damals – gegen den Widerstand der eigenen Linken – die Sozialsysteme reformierte und den verkrusteten Arbeitsmarkt auflockerte, bekam er nirgends so viel Beifall wie aus der Wirtschaft. Auf die SPD abfärben konnten die Schröder-Sympathien freilich nicht. Zu heftig waren die Attacken des linken Flügels der SPD gegen diese Reformen, zu mangelhaft die Unterstützung des Schröder-Kurses durch die eigenen Genossen.

Während der Großen Koalition (2005 – 2009) und erst recht in der Opposition rückte die SPD immer mehr von der Schröder-Politik ab. Statt sich „um die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes zu kümmern,“ wie es Gabriel jetzt fordert, näherte sich die SPD immer mehr der neuen Konkurrenz von links, Die Lin ke, an. Das Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2013, mit dem Sigmar Gabriel im Sommer vor einem Jahr den Wahlkampf bestritt, hatte alles, was die Wirtschaft und insbesondere den Mittelstand abschrecken: flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn, Rente mit 63, Frauenquote, Mietpreisbremse, Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Wiedereinführung einer Vermögenssteuer, schärfere Besteuerung von Erbschaften. Die Botschaft an linke Wähler war klar: „Ihr braucht nicht Die Linke zu wählen. Auch wir wollen – wie schon in den siebziger Jahren – mal wieder die Belastbarkeit der Wirtschaft testen“.

Jetzt also wieder ein Kurswechsel. Ausgerechnet in dem Moment, in dem die SPD mit tatkräftiger Hilfe der Union den Mindestlohn und die Rente mit 63 im Gesetzesblatt verankert hat, entdeckt Sigmar Gabriel wieder einmal die Wirtschaft. Erst ist die SPD scharf nach links abgebogen; jetzt blinkt sie plötzlich rechts. Ihr daraus resultierendes Glaubwürdigkeitsproblem ist indes kein Alleinstellungsmerkmal. Wie die SPD von Schröder hat die CDU/CSU längst Abschied von Ludwig Erhard genommen.

In der Steuerpolitik werden SPD und Wirtschaft sicher nicht zueinander finden, in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik auch nicht. Allerdings gibt es durchaus Bereiche, in denen sich die Forderungen der SPD und die Interessen der Wirtschaft überschneiden:



- Die SPD will mehr Zuwanderung – die Wirtschaft ruft händeringend nach Fachkräften.
- Die SPD will, dass der Staat mehr für die Integration der Zuwanderer tut. „Mehr Staat“ liegt hier auch ganz im Interesse der Wirtschaft.
- Das Ideal der SPD ist die Mutter, die möglichst schnell nach der Geburt eines Kindes wieder voll berufstätig ist. Die Wirtschaft schätzt „produktive“ Mütter ebenfalls mehr als Frauen, für die die Erziehung ihrer Kinder Priorität hat.
- Die SPD will die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch mehr Kitas fördern. Die Wirtschaft findet diese Arbeitsteilung sehr günstig: Besser staatliche als teure betriebliche Kitas.
- Die SPD will den Arbeitnehmer von der Wiege bis zur Bahre bilden, fortbilden, weiterbilden. Die Wirtschaft würde es schätzen, wenn der Staat ihr noch mehr an Kosten für die Qualifizierung von Arbeitnehmern abnähme.


SPD und Wirtschaft haben eben doch einiges gemein. Zumal man sich bei Unternehmern wie Arbeitgebern auf eines verlassen kann: Sie sind bei der Wahl ihrer Bündnispartner nicht wählerisch. Wer liefert, ist willkommen. Ob es zu einem neuen Frühling zwischen Genossen und Bossen kommen wird oder nicht, hängt freilich in erster Linie nicht von strategischen Überlegungen der SPD-Spitze ab. Das wird demnächst in Karlsruhe entschieden – beim Thema Erbschaftssteuer.

Sollte das Verfassungsgericht die bisherige Begünstigung der Erben von betrieblichem Vermögen für verfassungswidrig erklären, käme es zum Lackmustest. Die jetzige, für den Mittelstand höchst vorteilhafte Regelung ist noch ein Produkt aus schwarz-gelben Zeiten. Bei einer von Karlsruhe sehr wahrscheinlich geforderten Novellierung dieses Gesetzes würden große Teile der SPD sich dafür stark machen, die Erben mittelständischer Betriebe in Zukunft kräftig zur Kasse zu bitten. Dann muss sich erweisen, wie wichtig für Gabriel ein entspanntes Verhältnis zu Mittelstand und Familienunternehmen ist. Da gilt dann: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“

Erstveröffentlichung: www.theeuropean.de vom 5. August 2014

http://www.theeuropean.de/hugo-mueller-vogg/8804-kurswechsel-in-der-wirtschaftspolitik-der-spd

 


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