22.02.2024

„Kampf gegen rechts“: Die AfD sorgt für „Kollateralnutzen“ bei den Grünen

Das Meinungsforschungsinstitut INSA fragt die Bürger nicht nur, wen sie wählen würden, wenn am Sonntag Bundestags- oder Landtagswahl wäre. Es fragt auch danach, welche Partei für wie viele Wähler grundsätzlich nicht wählbar ist. Die Befragten haben somit die Möglichkeit zur Negativauslese. Zurzeit können sich 59 Prozent nicht vorstellen, die AfD zu wählen, aber auch 44 Prozent nicht die Grünen. Die Öko-Partei ist somit nach der AfD die Partei, die am heftigsten abgelehnt wird. Selbst die Linke schneidet mit einer Negativquote von 41 Prozent noch etwas besser ab.

Was für ein Unterschied zu Beginn des Wahljahres 2021. Damals rechneten sich die Grünen noch Chancen aufs Kanzleramt aus. Da wollte nur jeder Vierte unter keinen Umständen sein Kreuz bei Habeck, Baerbock und Co. machen. Denn die Grünen galten bis weit hinein in gutbürgerliche Kreise als attraktive Alternative zu CDU/CSU und SPD. Alle wollten irgendwie grün, also klimabewusst und gesellschaftspolitisch modern sein, bis hinein in die Reihen der Union.

„Ende der grünen Hegemonie“

Damit ist es aus und vorbei. Die Grünen haben von den drei Ampel-Parteien bisher zwar nur die geringsten Verluste, weil sie eine recht stabile, man könnte sagen gläubige Gefolgschaft haben. Aber bei der großen Mehrheit stoßen sie zunehmend auf Ablehnung, schlägt ihnen teilweise sogar Hass entgegen. Der Zeitgeschichtler Professor Andreas Rödder spricht vom „Ende der grünen Hegemonie“. Sein Fazit: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit und bereits erkennbarer Evidenz schwingt das Pendel nach rechts“.

Diesen Pendelschwung abzubremsen, ist nicht einfach. Da kommen aus Sicht der Grünen und ebenso der Sozialdemokraten die steigenden Zustimmungswerte für die AfD gerade recht. Die Berichte über ein Treffen von Rechtsextremisten bei Potsdam samt der dort geäußerten Remigrations-Phantasien lösten teilweise schrille Warnungen vor einer Machtergreifung à la 1933 aus. Das hat zu einer Mobilisierung „gegen rechts“ geführt, deren Wucht durchaus mit den Protesten der Friedensbewegung gegen die Nato-Nachrüstung Anfang der 1980er-Jahre vergleichbar ist. Ganz nebenbei: Die Massendemonstrationen haben nicht verhindert, dass die CDU/CSU bei der Bundestagswahl 1983 nur knapp die absolute Mehrheit verfehlte und der Bundestag die Stationierung der Pershing II beschließen konnte.

Warnungen vor den „Nazis“ haben großes Mobilisierungspotenzial

Die Grünen haben zusammen mit den Sozialdemokraten und anderen linken Gruppierungen jedenfalls schnell erkannt, dass sich mit Warnungen vor den „Nazis“ viele Menschen mobilisieren lassen. Da kämpft man Seit‘ an Seit‘ selbst mit linksradikalen Organisationen, die ihrerseits vom Verfassungsschutz beobachtet werden, für die Demokratie. Die CDU macht teilweise mit, teilweise auch nicht, weil mit der Formel „gegen rechts“ die Union ebenfalls getroffen werden soll. Daraus haben viele Redner bei diesen Demos keinen Hehl gemacht. Auch Transparente mit dem Slogan „Merz ist mitgemeint“ zeigen inmitten von vielen roten Fahnen, woher der Wind weht und wer weggeweht werden soll.

Diese Demonstrationen mobilisieren sicherlich auch Menschen, die sich echte Sorgen um unsere Demokratie machen. Vieles spricht indes dafür, dass sich unter den Demonstranten nicht gerade bekehrte ehemalige AfD-Wähler befinden. Wer gegen die AfD auf die Straße geht, hat diese Partei mit Sicherheit noch nie gewählt. Ob aber die, die gegen Rechtsextremismus Front machen, ihrerseits potentielle AfD-Wähler zum Nachdenken bewegen, ist fraglich. Bei der Wiederholungswahl in Berlin am 11. Februar war die AfD jedenfalls die einzige Partei, die trotz gesunkener Wahlbeteiligung absolut mehr Stimmen bekam als in denselben Wahlbezirken bei der Bundestagswahl 2021. Offenkundig haben die Großdemonstrationen in Berlin der AfD nicht geschadet.

Das dürfte aus Sicht von Grünen und Sozialdemokraten aber nicht gegen die Proteste sprechen. Denn das linke Spektrum hat wieder eine Klammer, die höchst unterschiedliche Gruppierungen zusammenhält – den Antifaschismus. Das dient nicht nur der eigenen Selbstvergewisserung, auf der richtigen Seite zu stehen. Dahinter steckt auch die Erwartung, von der eigenen Politik enttäuschte Wähler bei der Stange zu halten. Schließlich drohen Grünen und SPD bei der Europawahl wie bei den Landtagswahlen im Osten erhebliche Stimmverluste.

Grüne profitieren am meisten von der Höcke-Truppe

Die meisten Organisatoren der Anti-AfD-Demonstrationen haben angekündigt, ihre Aktivitäten mit Blick auf die anstehenden Wahlen zu verstärken. Der Protestforscher Dieter Rucht vertritt die Meinung, der „Höhepunkt der Demowelle“ liege bereits hinter uns. Doch hat sich ein neues Bündnis etabliert, das geradezu kurios anmutet: die DGB-Gewerkschaft Verdi und „Fridays for future (FFF)“. Gemeinsam wollen sie für eine Verkehrswende und bessere Arbeitsbedingungen für die Bediensteten im ÖPNV kämpfen. Aber FFF will vor allem auch Jungwähler gegen die Rechtsextremen sensibilisieren. Da treffen sich die parteipolitischen Interessen der Schülerbewegung und der Gewerkschafter. Die von ihnen mobilisierten Wähler dürften ermuntert werden, nach ökologischen und sozialen Gesichtspunkten abzustimmen. Da bleiben dann – Überraschung – nur zwei Ampel-Parteien.

Es entbehrt nicht der Ironie, dass die Grünen machtpolitisch in der Vergangenheit am meisten von der wachsende Stärke der Höcke-Truppe profitiert haben. Weil in vielen Landtagen die AfD zu viele Sitze einnimmt, um herkömmliche Zweier-Koalitionen zu bilden, wurden die Grünen zum gefragten Koalitionspartner. So sitzen sie in neun Landesregierungen, was die Union nur in sieben Ländern geschafft hat. Und „dank der AfD“ kann die CDU nicht ausschließen, nach der Bundestagswahl 2025 unter Umständen es mit Schwarz-Grün zu versuchen oder versuchen zu müssen. Was will man aus grüner Sicht mehr.

„Kampf gegen rechts“ soll zur Hegemonie zurückfinden

So entpuppt sich die AfD indirekt als Hilfstruppe zugunsten der Grünen. Der Kampf gegen die AfD wird zum einigenden Band aller Parteien und Gruppierungen links von CDU und CSU. Das Ganze wird begleitet von einer „Berichterstattung“, die überwiegend nicht über die Demonstrationen berichtet, sondern sie hymnisch feiert. Vom "demokratischen Zauber des Augenblicks" schwärmte kürzlich die „Süddeutsche Zeitung“ nach einem Demonstrationswochenende. Da geht dann völlig unter, dass die AfD eben nicht nur von überzeugten Rechtsradikalen gewählt wird. Sie profitiert in Umfragen erheblich von der wachsenden Unzufriedenheit vieler Menschen mit der Politik der Ampel. Die Umfragewerte der AfD gingen im vergangenen Jahr deutlich nach oben, als der grüne Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck mit seinem „Heizungshammer“ zahlreiche Menschen in finanzielle Not zu treiben drohte.

Man darf den Grünen abnehmen, dass sie wie alle demokratischen Parteien froh wären, wenn Chrupalla, Weidel & Co. um fünf Prozent herumkrebsten. So aber versucht das angeblich „breite gesellschaftliche Bündnis“, das in Wirklichkeit ein linksgrünes ist, das Beste aus der Situation zu machen: „Kampf gegen rechts“ als Versuch, zur gewohnten Hegemonie zurückzufinden. Die AfD ist sicher kein Gewinn für unser Land und unsere Demokratie. Für die Grünen könnte sie sich als „Kollateralnutzen“ erweisen.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 22. Februar 2024)


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