15.03.2019

Wenn’s gegen die Reichen geht, setzt bei der SPD die Logik aus

Stellen wir uns folgende Situation vor: Eine Familie gerät in Not, braucht für eine gewisse Zeit eine Überbrückungshilfe. Ein Kreis von Freunden und Nachbarn beschließt, monatlich mit einem bestimmten Betrag zu helfen. Jeder der Helfer steuert nach seiner Finanzlage etwas bei: die einen jeden Monat 100 Euro, andere nur 20, zehn oder fünf. Nach zwei Jahren kann die betroffene Familie finanziell wieder auf eigenen Beinen stehen; die Hilfsaktion wird eingestellt.

Wer bisher monatlich viel gegeben hatte, hat jetzt wieder ein deutlich höheres verfügbares Einkommen, wer nur ein paar Euro zur Aktion beigesteuert hat, bei dem ändert sich an der Kassenlage nicht viel. Das finden auch alle in Ordnung. Bis auf einen. Der macht folgende Rechnung auf: Wer jetzt 100 Euro im Monat spare, profitiere vom Ende der Hilfsaktion stärker als der, der nur mit monatlich zehn Euro geholfen habe. Deshalb sollten die Vielzahler im Namen der Gerechtigkeit weiterhin Geld in die gemeinsame Kasse einzahlen; einen Verwendungszweck werde man schon finden.

Man braucht nicht allzu viel Phantasie, um sich die Reaktion der Gruppe vorzustellen: man würde diesen Gerechtigkeitsfanatiker auslachen oder für verrückt erklären; ernst nehmen würde ihn wohl keiner aus dem Freundeskreis. Wer solch schräge Gedanken hat, muss sich aber nicht in die innere Emigration zurückziehen. Er kann auch in die Politik gehen. Dann sollte er sich in einer Umverteilungspartei engagieren, also in der SPD oder bei der Linken. Denn dort werden solch krude Gedanken nicht nur toleriert; sie entsprechen der Parteilinie.

Nichts illustriert das besser als die Diskussion über die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Dabei ist der Koalitionsvertrag eigentlich eindeutig: „Wir werden den Solidaritätszuschlag schrittweise abschaffen und ab dem Jahr 2021 mit einem deutlichen ersten Schritt im Umfang von zehn Milliarden Euro beginnen“, haben CDU/CSU und SPD vereinbart. Dadurch sollen rund 90 Prozent derer, die heute den Soli entrichten, „vollständig vom Solidaritätszuschlag entlastet“ werden. Wann die restlichen zehn Prozent entlastet werden, bleibt offen.

Inzwischen dämmert der CDU/CSU, dass sie – auch in diesem Punkt – gegenüber der SPD zu nachgiebig war. Immer mehr Unionspolitiker fordern deshalb, auch die oberen zehn Prozent möglichst bald von der Soli-Last zu befreien. Die oberen zehn Prozent, das klingt zwar nach sehr reich. In Wirklichkeit beginnt diese Gruppe der angeblich Reichen bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 61.000 Euro. Gut 5000 Euro im Monat, das ist wahrlich kein Einkommen, mit dem man leben kann wie im Schlaraffenland. In dieser Preisklasse treffen wir Lehrer, Beamte, Facharbeiter, Angestellte und auch Journalisten, die sich selbst alles andere als reich bezeichnen würden. Natürlich fallen in die Gruppe der „61.000 Euro plus“ auch Einkommensmillionäre wie die meisten Vorstände von DAX-Unternehmen. Die würden von einer Abschaffung des Soli am stärksten profitieren.

Die SPD gönnt diesen Reichen eine Abschaffung des Soli nicht. Ihre Funktionäre wettern deshalb gegen Steuersenkungen für Millionäre oder Milliardäre. Und weil die Nahles-SPD zunehmend auf Klassenkampf zu setzen scheint, rechnen ihre Spitzengenossen genüsslich vor, die Vorstandsvorsitzenden der 30 DAX-Konzerne würden ohne Soli durchschnittlich 140.000 Euro im Jahr an Steuern sparen. Solche Attacken passen zum neuen Linkskurs der Sozialdemokraten, die davon träumen, die Belastbarkeit der Wirtschaft mit einem höheren Spitzensteuersatz und einer neuen Vermögensteuer zu testen und selbst – wie in Berlin – vor der Idee einer massenhaften Enteignung von Wohnungsbesitzern nicht zurückschrecken. Da kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die SPD setze auf einen Umverteilungswettbewerb mit der Linken und den Grünen unter dem Motto „Vorwärts in die 1950er-Jahre.“

Für Logik bleibt da kein Platz. Als der Soli eingeführt wurde, war von einer zeitlich begrenzten Abgabe die Rede und einer Koppelung an den „Solidarpakt II“. Diese Sonderfinanzierung der neuen Länder im Rahmen des Finanzausgleichs läuft Ende 2019 aus, und deshalb gibt es für den Soli von 2020 an keine sachliche Begründung mehr. Überdies hat der Soli hat eine starke soziale Komponente. Wer weniger als 15.000/30.000 Euro (Ledige/Verheiratete) im Jahr zu versteuern hat, ist ohnehin von diesem Zuschlag zur Einkommensteuer befreit. Dafür zahlen DAX-Vorstände, Chefärzte oder Top-Juristen umso mehr. Das Verrückte an der ganzen Debatte: Alle finden es in Ordnung, dass “starke Schultern“ eine höhere Steuerlast zu schultern haben als schwache. So sehr aber die roten und grünen Umverteiler über hohe Belastungen der Reichen frohlocken, so sehr stört sie, dass bei der Abschaffung einer Steuer zwangsläufig der am meisten spart, der am meisten gezahlt hat. Dahinter steckt eine schlichte Logik; aber für Klassenkämpfer ist sie offensichtlich zu hoch. „Genossen, lasst die Tassen im Schrank“, hatte Karl Schiller, der erfolgreichste Wirtschaftsminister der SPD, einst gewarnt, als seine Partei mal wieder die Belastbarkeit der Wirtschaft testen wollte. Aber einen Karl Schiller sucht man halt in der Nahles-SPD vergebens.

Veröffentlicht auf www.tichyseinblick.de am 14. März 2019.


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