06.10.2016

Edmund Stoiber lobt den CDU-Rebellen Bosbach als wahren Konservativen

Bei der Buchvorstellung geizte Stoiber nicht mit Lob für den Innen- und Rechtspolitiker Bosbach. Er bescheinigte Bosbach, er fülle den Begriff des Konservativen inhaltlich aus:

• „Mit dem Plädoyer für eine deutsche Leitkultur als Wertekonsens, den jeder, der hier lebt, beachten muss;

• mit der Betonung von Ehe und Familie als Keimzelle der Gesellschaft;

• mit der Forderung nach einem Betreuungsgeld auf Länderebene;

• mit der Ablehnung des Satzes: „Der Islam gehört zu Deutschland“.

Die HuffingtonPost dokumentiert hier wichtige Antworten Bosbachs zum „konservativen Tafelsilber“ der CDU:

Müller-Vogg: Jörg Schönbohm, der frühere brandenburgische Innenminister, hat einmal vom »konservativen Tafelsilber« der Union gesprochen. Was wird nicht mehr poliert?

Bosbach: Denken Sie nur daran, wie schwer sich die Union vor gut fünfzehn Jahren mit dem Begriff »Leitkultur« getan hat. Als Friedrich Merz diesen Begriff in die Debatte eingeführt hat, hat die CDU nicht entschieden Stellung pro Leitkultur bezogen, sondern sich bemüht, den Begriff politisch-korrekt zu erklären. Leitkultur hat nie bedeutet »Deutschland, Deutschland über alles« oder »Am deutschen Wesen soll die Welt genesen«. »Leitkultur« steht für einen Wertekonsens, der in unserem Land von allen Menschen beachtet werden muss, völlig unabhängig von Staatsangehörigkeit, Hautfarbe und Religion. »Leitkultur« ist das Band, das alle Menschen in unserem Land verbindet, damit über 80 Millionen auf relativ kleinem Raum friedlich und konfliktfrei miteinander leben können. Warum haben wir nicht deutlich gesagt: »Da hat Friedrich Merz völlig recht!«? Ich kann mir das nur damit erklären, dass wir aus historischen Gründen ein eher schwieriges Verhältnis zum eigenen Land haben.

Müller-Vogg: Im Zusammenhang mit dem ungebremsten Zustrom an Flüchtlingen im Jahr 2015 sprechen inzwischen selbst SPD und Grüne von der Notwendigkeit einer Leitkultur. Im Grundsatzprogramm der CDU von 2007 ist an zwei Stellen etwas verschämt die Rede von einer »Leitkultur in Deutschland«. Eine Leitkultur in Deutschland – das könnte ja auch eine muslimische Leitkultur sein oder eine buddhistische.

Bosbach: Sie haben recht. Hier ging es nicht um eine rhetorische Variante, sondern auch um eine inhaltliche Veränderung. Viele haben sich ja nicht an dem Begriff »Leitkultur« gestört, sondern an dem Begriff »deutsche Leitkultur«. Mit dem Begriff »deutsche Leitkultur« wird ja nicht geleugnet, dass unsere Kultur auch von ausländischen Einflüssen mitgeprägt ist. Aber man wollte wohl alles vermeiden, was zu sehr nach deutschem Wesen, an dem angeblich die Welt genesen soll, klingt.

Müller-Vogg: Der Begriff »Europäische Leitkultur« von Bassam Tibi bezeichnet einen Wertekonsens basierend auf den Werten der »kulturellen Moderne« von Jürgen Habermas und beinhaltet: Vorrang der Vernunft vor religiöser Offenbarung; Demokratie, die auf der Trennung von Religion und Politik basiert; Pluralismus und Toleranz. Stimmen Sie dem zu?

Bosbach: Dem stimme ich vorbehaltlos zu. Allerdings mit der Ergänzung, dass für uns der Kampf gegen jede Form von Antisemitismus ebenso zur Leitkultur gehört wie die vorbehaltlose Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols. Letzteres ist für viele nicht selbstverständlich, für uns ist das aber eine zivilisatorische Errungenschaft. Selbstverständlich gehört auch die deutsche Sprache zu unserer Leitkultur. Schließlich ist sie unser wichtigster Kulturträger. Ich weiß nicht, wie Integration bei uns ohne fundierte Grundkenntnisse der deutschen Sprache funktionieren soll.

Müller-Vogg: Deutsche Leitkultur und »Der Islam gehört zu Deutschland« – schließt sich das nicht im Grunde aus?

Bosbach: Da gibt es erhebliche Friktionen. Das beginnt schon mit der Frage, welcher Islam eigentlich gemeint ist. Wenn damit der Islam mit all seinen Ausprägungen wie Islamismus, Salafismus, Wahabismus verstanden wird, kann er nicht zu Deutschland gehören. Denn für uns ist die Trennung von Kirche und Staat von fundamentaler Bedeutung. Das würde ein überzeugter Salafist verneinen, weil es ihm nicht allein um die persönliche religiöse Überzeugung geht. Ihm geht es darum, dass sich auch das öffentliche Leben und das Handeln des Staates strikt an den Worten und Taten des Propheten auszurichten haben. Das ist unserem Verfassungsverständnis völlig fremd. Da stellt sich auch die Frage: Ist Islam ohne Scharia überhaupt denkbar? Die Scharia ist ja die wichtigste Rechtsquelle des Islam. Islam ohne Scharia wäre deshalb ein Widerspruch in sich. Aber die Scharia kann ja niemals Teil unserer Rechtsordnung werden. Deshalb halte ich den Satz »Der Islam gehört zu Deutschland« für mehr als problematisch.

Müller-Vogg: Der Satz stammt von Christian Wulff, und die Kanzlerin hat ihn übernommen.

Bosbach: Ja, die Kanzlerin hat ihn ohne Einschränkung übernommen. Aber der CDU-Parteitag im Dezember 2015 hat diesen Satz danach sehr voluminös interpretiert. Ich habe aber selbst mit dieser Interpretation meine Probleme, weil ich zwischen dem Islam in seiner Gesamtheit, einschließlich aller radikalen Strömungen, und den vier Millionen Muslimen unterscheide, die bei uns leben und die selbstverständlich Teil unserer Gesellschaft sind, als Nachbarn, Arbeitskollegen oder Vereinskameraden.

Müller-Vogg: Nun hat die Kanzlerin auch gesagt: »Multikulti ist gescheitert.« Wie passt denn das zu »Der Islam gehört zu Deutschland«?

Bosbach: Dass Multikulti gescheitert ist, stimmt. Ich glaube, selbst den Grünen ist es nicht mehr so recht, mit der Forderung nach einer multikulturellen Gesellschaft in Verbindung gebracht zu werden. Im Bundestag habe ich das von Seiten der Grünen schon lange nicht mehr gehört. Im Grunde taugt der Begriff bei uns genauso wenig wie in Amerika. Wer jemals in New York war, weiß, dass die Stadt eben nicht ein »melting pot«, ein Schmelztiegel, ist, sondern ein unverbundenes Nebeneinander verschiedener Kulturen. Es ist schlicht falsch zu behaupten, in Amerika ließen sich die Trennungslinien zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen und Kulturen nicht mehr feststellen. Ein kurzer Besuch in Little Italy oder Chinatown wird diese Einschätzung sofort bestätigen.

Müller-Vogg. Aber fühlen sich die Zuwanderer in den USA nicht trotzdem in erster Linie als Amerikaner?

Bosbach: Das ist vielleicht der entscheidende Unterschied. Wenn man Zuwanderer in Amerika nach ihren Zielen fragen würde, würden die allermeisten sagen: »to become a good American«, ein guter Amerikaner zu werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die meisten Zuwanderer in Deutschland bei Aushändigung ihrer Aufenthaltsgenehmigung sagen, sie möchten gerne gute Deutsche werden. Die meisten werden sagen: »Ich möchte Teil der Gesellschaft werden, mich in diesem Land engagieren und hier ein gutes Leben führen.« Das ist eine andere Akzentuierung. Und gerade deshalb freue ich mich ja darüber, wenn sich jemand so gut integriert hat, dass er gerne unsere Staatsangehörigkeit annehmen möchte – dann allerdings bitte ohne Wenn und Aber, mit ungeteilter Zuwendung zu unserem Land.

Müller-Vogg: Der Begriff der »multikulturellen Gesellschaft« ist ja keine Erfindung der Grünen, sondern stammt vom früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler.

Bosbach: Ja, ich kann mich an leidenschaftliche Debatten mit Heiner Geißler erinnern. Er warb für die multikulturelle Gesellschaft und für ein Bekenntnis der CDU zum Einwanderungsland Deutschland. Er hielt das für ein erstrebenswertes Ziel, hat dabei aber vielleicht ausgeblendet, dass viele, die zu uns kommen, an einer wirklichen Integration nicht interessiert sind, sondern lieber in Stadtquartieren leben möchten, in denen Migranten in der Mehrheit sind. Dort kommt man dann auch ohne Integration in die Aufnahmegesellschaft im Alltag prima zurecht. Das allerdings ist doch kein gesellschaftspolitisch wirklich erstrebenswertes Ziel.

Wolfgang Bosbach: „Endspurt. Wie Politik tatsächlich ist und wie sie sein sollte. Ein Gespräch mit Hugo Müller-Vogg.“ Quadriga-Verlag, 24 Euro, ISBN: 978-3-86995-092-1.

Erscheint am 14. Oktober.

Veröffentlicht auf www.huffingtonpost.de vom 4. Oktober 2016


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