07.04.2014

Sexismus-Affäre: Jetzt redet Brüderle Klartext

Um den einst mächtigen FDP-Fraktionschef und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, der Opel Milliarden verweigerte und dabei Kanzlerin Angela Merkel die Stirn bot, ist es ruhig geworden. Als Ehrenvorsitzender hat er nur noch seinen festen Platz auf dem Podium der Landespartei. "Mister Marktwirtschaft" hat sich an der Basis in Mainz zurück- und ein "Kleingewerbe" (Rainer Brüderle Consult) angemeldet.

Aber jetzt macht der Liberale wieder groß von sich reden - in Berlin wie in Talkshows: In seinem Buch "Jetzt rede ich - ein Gespräch mit Hugo Müller-Vogg" bricht er auch sein langes Schweigen zur Sexismus-Debatte. Der Ex-Spitzenkandidat fühlt sich als Opfer eines "von langer Hand" geplanten "Frontalangriffs auf die FDP und mich als Spitzenkandidaten". Der "Stern" habe ihn mit dem Hotelbar-Artikel von Laura Himmelreich erledigen wollen.

Buch „hinterlässt keine verbrannte Erde“

2013, im 40. und schwersten Jahr von Brüderle in der FDP, hat sich in ihm einiges aufgestaut. Stundenlang hat er sich in Interviews mit dem Publizisten Müller-Vogg von der Seele geredet, wie er schachmatt gesetzt wurde. Das Buch, das unserer Zeitung bereits vorliegt, ist "weder Biografie noch Vermächtnis", hinterlässt in der Partei keine verbrannte Erde ("Wird weiter gebraucht"). Aber es erklärt, wie es in FDP und Koalition zuging. Für den ausgebufften Journalisten Müller-Vogg bleibt womöglich auch Kritik an früheren FDP-Spitzen zu höflich zwischen den Zeilen, wenn Brüderle seinen von der "Boygroup" um Philipp Rösler erzwungenen Abschied vom Traumjob als Bundeswirtschaftsminister schildert oder spekuliert, ob Merkel die Große Koalition "bewusst angepeilt hat". Trotzdem sind die 150 Seiten aufschlussreich, vor allem authentisch. Deutlich wird Brüderle, wenn er beim Blick nach vorn marktwirtschaftlich mit Monopolisten abrechnet ("Google darf nicht die Welt regieren") oder eben mit dem "Stern" - im Kapitel "Sexismusskandal ohne Sexismus?".

Lange hat Brüderle zu der vermeintlichen "Dirndl-Affäre" und der Aufreißer-Story geschwiegen, in der die Journalistin Laura Himmelreich eine alte Begegnung zwei Tage nach seiner Wahl zum Spitzenkandidaten im Januar 2013 aufgreift. Sie beschreibt Brüderle als Mann, der sich an sie "heranwanzte" und beim Stichwort Oktoberfest auch mit Blick auf den Busen gemeint habe: "Sie können ein Dirndl auch ausfüllen." Brüderle ist überzeugt, dass es dem "Stern" nur darum ging, ihn zu erledigen.

Nur „geflachst“

Auf insistierende Fragen schildert Brüderle die Szenerie. Er stand am Abend des Dreikönigstreffens 2012 wie immer mit Journalisten an der Hotelbar des Maritim Stuttgart. "Ich war mit Frau Himmelreich in keinem Moment allein." Es sei viel geflachst geworden. "Es war überhaupt keine Atmosphäre für ein professionelles Gespräch gewesen", wie es Himmelreich angeblich habe führen wolle. Irgendwann sei die "völlig harmlos gemeinte Äußerung gefallen", die "weder die Dame noch umstehende Kolleginnen und Kollegen als anstößig empfanden". Ansonsten hätte er sich sofort entschuldigt, versichert er.

Nicht von der Seite gewichen

Im Gegenteil: Laura Himmelreich sei an der Bar nicht von seiner Seite gewichen. In der Folgezeit habe sie sich auch bemüht, ihn zu Terminen zu begleiten - "auf ihren ausdrücklichen Wunsch" auch in Brüderles Wagen. "Von einem Opfer einer angeblichen Belästigung würde man das nicht erwarten." Auch deshalb ist der Ex-Spitzenkandidat überzeugt, dass der "Stern" nicht das Thema von anzüglicher Belästigung verfolgte, sondern ihn "politisch vernichten wollte", zumal Himmelreich in einem anderen Text beschrieben habe, dass die CSU-Politikerin Ilse Aigner durchaus "dirndltauglich" sei. "Glaubwürdigkeit sieht anders aus." Hinter dem Text "steckte keine journalistische, sondern eine politische Strategie", glaubt Brüderle.

Der Pfälzer fühlte sich unfair behandelt, seine Frau litt darunter. Aber er sah keine andere Chance, als zu schweigen. "Jede Äußerung hätte einen Teil der Medien nur angestachelt, ihren Feldzug mit noch größerem Eifer fortzusetzen." Dass die Medienwelt "viel brutaler geworden ist", kann für Brüderle "auch einer der Gründe sein, warum es heute schwierig ist, junge Menschen für Politik zu gewinnen". Dies spürten alle Parteien.

Und dann noch der Fall…

Auf den Tiefschlag mit wochenlangen Debatten folgte für den angeschlagen Spitzenliberalen auch noch der Stolperer am schwarzen Freitag des 14. Juni: Er hatte traditionell Freunde in Carl Zuckmayers "Fröhlichen Weinberg" nach Nackenheim eingeladen - gutes Essen, Volksbühne, ein Absacker bei Käse. Alles wie immer. Aber beim Bezahlen strauchelte er auf einer Stufe - bei 0,0 Promille, wie das Krankenhaus nach schweren Brüchen in Oberschenkel und linker Hand feststellte.

Brüderle litt unter starken Schmerzen - noch mehr als er im Buch zugibt oder bei Interviews am Krankenbett erahnen ließ. Er ging im Wahlkampf bis hart an die Grenze aller Leistungskraft. Aber es half nichts. "Guido Westerwelle hat die FDP zu einer unsympathischen Partei gemacht. Rösler lieferte nicht", sagte damals ein Weggefährte. Und Brüderle spürte die "Vernichtungssehnsucht gegen die FDP". Folge: Die Partei rutschte auf historische 4,8 Prozent ab. Der TV-Zuschauer konnte sehen, wie bereits bei Prognosen sofort Brüderles Stuhl im ZDF-Studio für die "Elefantenrunde" abmontiert wurde. Jetzt meldet sich der Ex-Spitzenmann nur noch als "Basis-Brüderle" zu Wort - und eben im Buch, das am Mittwoch in Berlin vorgestellt wird.

Quelle: Ursula Samary in „Rhein-Zeitung“ Koblenz vom 7. April 2013


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