04.03.2009

Eine nicht ganz frei erfundene Geschichte

Die Vorstellung einer rot-rot-grünen Koalition führte Gysi zu Ramsauer und diesen auf die Palme

Wann liest Gregor Gysi schon mal eine Rede vom Blatt ab? Wenn er über die Verantwortung der Linken für Israel spricht. Sonst eigentlich nicht. Eine weitere Ausnahme: Gysi spricht in der Bayerischen Landesvertretung. So wie am Dienstag.

Ein wenig unheimlich schien die Veranstaltung ihnen schon zu sein: Dem FDP-Vizefraktionschef Rainer Brüderle oder auch Peter Ramsauer, Chef der CSU-Landesvertretung im Bundestag. Der Grund lag in der Anwesenheit von Gregor Gysi, Fraktionschef der LINKEN. In die Höhle des bayerischen Löwen sei dieser gekommen, meinte mit leicht mitleidigem Unterton der Verleger Reinhard Möstl. Auch Gysi schien die Sache nicht recht geheuer. Und als Ramsauer abschließend ans Podium trat, wünschte er sich gar, noch schnell nach Hause geschickt zu werden.

Grund des unheimlichen Zusammentreffens auf »bayerischem Boden« war ein Buch, das der »Bild«-Kolumnist Hugo Müller-Vogg geschrieben hat. Schwer zu sagen, ob die sportliche Herausforderung Gysi getrieben hat, neben Brüderle die Buchvorstellung zu übernehmen. Oder ob er Müller-Vogg etwas schuldig war. Er sei zum ersten Mal hier, teilte er anfangs mit. Da hatte Brüderle soeben den Weltuntergang in den Farben von Rot-Rot-Grün beschworen. »Ich bin erstmals hier. Das fällt mir allerdings erst jetzt unangenehm auf.«

In seinem Buch »Volksdemokratie Deutschland« beschreibt Müller-Vogg, »wie es nach der Bundestagswahl 2009 zu einer Regierung aus Sozialdemokraten, Linken und Grünen kam«. Eine politische Fiktion also, eine frei erfundene Geschichte. Aber eine mit womöglich guter Chance auf Realisierung, wie der Autor sagt. Ein Grund für ihn, auf einen guten Verkaufserfolg zu hoffen. Auf den hofft auch Rainer Brüderle. Allerdings aus eher erzieherischen Gründen. Möge das Buch als Warnung verstanden werden – von möglichst vielen Menschen, so die Botschaft des FDP-Politikers. Brüderle ruft sie alle zum Widerstand auf. Die rot-rot-grüne Wende werde Wirklichkeit, beschwor er die Journalisten, die das Atrium der Landesvertretung ordentlich füllten, »wenn die Bürger sich nicht engagieren«. Fast wie eine Beschwörungsformel klingt Brüderles Buchbeschreibung. Müller-Vogg habe »Fakten, Fakten, Fakten« angesammelt. Das Buch möge dennoch »Fiktion, Fiktion, Fiktion« bleiben.

Auch Ramsauer hatte Mühe, Gysi in »seiner« Landesvertretung sitzen zu sehen und dazu noch das Schlusswort zu halten. Er hoffte, dass ihm das »im Fegefeuer nicht angerechnet wird«. Zweifel sind angebracht. Denn freundlich behandelte er seinen Gast nicht gerade. Dieser hatte schon mal vorsorglich sein Wort gegeben, dass mehrere Voraussagen Müller-Voggs nicht eintreten werden. Dass es eine Koalition geben werde, ohne dass die SPD im Bund koalitionsfähig für die LINKE werde. Oder dass er, Gysi, Innenminister werde, »Oberbulle der Nation«. »Hoch und heilig« verspreche er das. Ramsauer zweifelnd: »Stellen Sie sich erstmal die Frage: Was ist Ihnen schon heilig?«

Auch Ramsauer hofft, dass das Buch »aufklärerisch wirkt«. Im 20. Jahr der Einheit »dürfen wir die Freiheit nicht verspielen«. Dass Gysi seine Rede zuvor vom Blatt abgelesen hatte, konnte man ihm da nachträglich verzeihen. Auf Nachsicht durfte er hier nicht hoffen. »Eine andere Republik« würde das, warnte Brüderle nochmals auf Nachfrage aus dem Saal. »Und die Medien? Was würde mit denen passieren?«, fragte ein Mann von den Medien Brüderle besorgt. Mehr Einfluss, weniger Freiheit, antwortete dieser ernst, und Gysi lächelte verkniffen.


Aus: Neues Deutschland vom 04.03.2009


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